selben uns gezwungen sähen, alle anderen Rücksichten vergessend mit äußerster Mühe es uns in dem kleinen Raume, den unser Leib erfüllt, behaglich oder erträglich zu machen. Winter und Sommer -- nahe dem Pole und dem Erdgleicher, die Feinde der Geselligkeit -- sind bei uns die Beförderer derselben. Ungesucht bietet sich, und zwar in einer eigen- thümlich ausgeprägten Bestimmtheit, das Gleichniß unserer Pflanzenwelt dar. Nicht bloß daß diese in vielen Punkten die gleiche Geselligkeit zeigt, sondern sie zeigt diese auch gleich uns deutschen Menschen in der Aus- prägung des echt deutschen Sprichwortes, was ich schon vorhin anwendete: "Gleich und Gleich gesellt sich gern"; nur daß ihr dies nicht so wie uns ein Vorwurf sein kann. Denn wahrlich, es würde eine überraschende Unterhaltung bieten, die einander ausschließenden geselligen Vereinigungen der Deutschen mit denen der deutschen Pflanzenwelt in Parallele zu stellen. Ich überlasse es aber meinen Lesern, zu dem sich selbst genügenden, heiteren Buchenwalde, dem niederes Volk schirmenden aristokratischen Eichenwalde oder dem plebejischen Weidendickicht des Flußufers sich unter den Casino's und Reunions der Menschen die passenden Seitenstücke selbst auszusuchen.
Wald und Wiese sind zwei gesellschaftliche Erscheinungsformen der Pflanzenwelt, welche sich in Deutschland schärfer ausprägen, als in wär- meren Klimaten. Nicht nur daß die stolzen Bäume sich aus der Gesell- schaft der niedrigen Pflanzengeschlechter zurückziehen und im Walde sich dicht und eng zusammenschaaren, auch unter sich beobachten sie das System der Ausschließlichkeit. Der Nadelwald trennt sich vom Laubwalde, ja die Fichte trennt sich von der Kiefer, die Buche von der Eiche. Dies ist wenigstens dann der Fall, wenn der Wald im Mittelgebirge seine Herr- schaft entfaltet. In den fruchtbaren Niederungen schwindet oft dieses kalte Streben der Absonderung und wir erhalten dadurch gegenüber jenen reinen Kiefern- oder Fichtenwaldungen die schönen gemischten Laubwälder unserer Auengegenden.
Die Wiese zeigt uns das Bild eines liebenswürdigen Widerspruchs: das treue Zusammenhalten gleicher Brüder, der Gräser, und das freund- liche Patronat derselben gegen Fremde, die sogenannten Wiesenkräuter, welche wir nirgends anders antreffen, als im grünen Schooße der Wiesen- gräser, und deren sich meine pflanzenkundigen Leser und Leserinnen eine Menge nennen werden.
ſelben uns gezwungen ſähen, alle anderen Rückſichten vergeſſend mit äußerſter Mühe es uns in dem kleinen Raume, den unſer Leib erfüllt, behaglich oder erträglich zu machen. Winter und Sommer — nahe dem Pole und dem Erdgleicher, die Feinde der Geſelligkeit — ſind bei uns die Beförderer derſelben. Ungeſucht bietet ſich, und zwar in einer eigen- thümlich ausgeprägten Beſtimmtheit, das Gleichniß unſerer Pflanzenwelt dar. Nicht bloß daß dieſe in vielen Punkten die gleiche Geſelligkeit zeigt, ſondern ſie zeigt dieſe auch gleich uns deutſchen Menſchen in der Aus- prägung des echt deutſchen Sprichwortes, was ich ſchon vorhin anwendete: „Gleich und Gleich geſellt ſich gern“; nur daß ihr dies nicht ſo wie uns ein Vorwurf ſein kann. Denn wahrlich, es würde eine überraſchende Unterhaltung bieten, die einander ausſchließenden geſelligen Vereinigungen der Deutſchen mit denen der deutſchen Pflanzenwelt in Parallele zu ſtellen. Ich überlaſſe es aber meinen Leſern, zu dem ſich ſelbſt genügenden, heiteren Buchenwalde, dem niederes Volk ſchirmenden ariſtokratiſchen Eichenwalde oder dem plebejiſchen Weidendickicht des Flußufers ſich unter den Caſino’s und Reunions der Menſchen die paſſenden Seitenſtücke ſelbſt auszuſuchen.
Wald und Wieſe ſind zwei geſellſchaftliche Erſcheinungsformen der Pflanzenwelt, welche ſich in Deutſchland ſchärfer ausprägen, als in wär- meren Klimaten. Nicht nur daß die ſtolzen Bäume ſich aus der Geſell- ſchaft der niedrigen Pflanzengeſchlechter zurückziehen und im Walde ſich dicht und eng zuſammenſchaaren, auch unter ſich beobachten ſie das Syſtem der Ausſchließlichkeit. Der Nadelwald trennt ſich vom Laubwalde, ja die Fichte trennt ſich von der Kiefer, die Buche von der Eiche. Dies iſt wenigſtens dann der Fall, wenn der Wald im Mittelgebirge ſeine Herr- ſchaft entfaltet. In den fruchtbaren Niederungen ſchwindet oft dieſes kalte Streben der Abſonderung und wir erhalten dadurch gegenüber jenen reinen Kiefern- oder Fichtenwaldungen die ſchönen gemiſchten Laubwälder unſerer Auengegenden.
Die Wieſe zeigt uns das Bild eines liebenswürdigen Widerſpruchs: das treue Zuſammenhalten gleicher Brüder, der Gräſer, und das freund- liche Patronat derſelben gegen Fremde, die ſogenannten Wieſenkräuter, welche wir nirgends anders antreffen, als im grünen Schooße der Wieſen- gräſer, und deren ſich meine pflanzenkundigen Leſer und Leſerinnen eine Menge nennen werden.
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ſelben uns gezwungen ſähen, alle anderen Rückſichten vergeſſend mit
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Pole und dem Erdgleicher, die Feinde der Geſelligkeit — ſind bei uns
die Beförderer derſelben. Ungeſucht bietet ſich, und zwar in einer eigen-
thümlich ausgeprägten Beſtimmtheit, das Gleichniß unſerer Pflanzenwelt
dar. Nicht bloß daß dieſe in vielen Punkten die gleiche Geſelligkeit zeigt,
ſondern ſie zeigt dieſe auch gleich uns deutſchen Menſchen in der Aus-
prägung des echt deutſchen Sprichwortes, was ich ſchon vorhin anwendete:
„Gleich und Gleich geſellt ſich gern“; nur daß ihr dies nicht ſo wie uns
ein Vorwurf ſein kann. Denn wahrlich, es würde eine überraſchende
Unterhaltung bieten, die einander ausſchließenden geſelligen Vereinigungen
der Deutſchen mit denen der deutſchen Pflanzenwelt in Parallele zu ſtellen.
Ich überlaſſe es aber meinen Leſern, zu dem ſich ſelbſt genügenden, heiteren
Buchenwalde, dem niederes Volk ſchirmenden ariſtokratiſchen Eichenwalde
oder dem plebejiſchen Weidendickicht des Flußufers ſich unter den Caſino’s
und Reunions der Menſchen die paſſenden Seitenſtücke ſelbſt auszuſuchen.
Wald und Wieſe ſind zwei geſellſchaftliche Erſcheinungsformen der
Pflanzenwelt, welche ſich in Deutſchland ſchärfer ausprägen, als in wär-
meren Klimaten. Nicht nur daß die ſtolzen Bäume ſich aus der Geſell-
ſchaft der niedrigen Pflanzengeſchlechter zurückziehen und im Walde ſich
dicht und eng zuſammenſchaaren, auch unter ſich beobachten ſie das Syſtem
der Ausſchließlichkeit. Der Nadelwald trennt ſich vom Laubwalde, ja die
Fichte trennt ſich von der Kiefer, die Buche von der Eiche. Dies iſt
wenigſtens dann der Fall, wenn der Wald im Mittelgebirge ſeine Herr-
ſchaft entfaltet. In den fruchtbaren Niederungen ſchwindet oft dieſes kalte
Streben der Abſonderung und wir erhalten dadurch gegenüber jenen reinen
Kiefern- oder Fichtenwaldungen die ſchönen gemiſchten Laubwälder unſerer
Auengegenden.
Die Wieſe zeigt uns das Bild eines liebenswürdigen Widerſpruchs:
das treue Zuſammenhalten gleicher Brüder, der Gräſer, und das freund-
liche Patronat derſelben gegen Fremde, die ſogenannten Wieſenkräuter,
welche wir nirgends anders antreffen, als im grünen Schooße der Wieſen-
gräſer, und deren ſich meine pflanzenkundigen Leſer und Leſerinnen eine
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/26>, abgerufen am 22.12.2024.
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