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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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aus welcher sich der erste Trieb entwickelt, an welchen die Nadeln noch
nicht zu zwei, sondern einzeln stehen, was auf sehr magerem Boden auch
noch im zweiten, zuweilen selbst noch im dritten Jahre der Fall ist.

Der Stamm der Kiefer ist je nach der Beschaffenheit des Bodens
und dem Grade des Schlusses entweder gerade und bis hoch hinauf ohne
starke Aeste, oder er ist niedrig, bogig und knickig und theilt sich schon
in geringer Höhe in starke, abstehende Aeste. Die Rinde älterer Kiefern
ist am untern Stammtheile mit einer dicken, durch tiefe Längsfurchen
zerrissenen Borke versehen und schülfert sich durch eine eigenthümliche
Bildung von Peridermalzellen-Schichten in ihrem Innern leicht in Platten
ab. Die graue Farbe geht in den oberen Theilen der Krone durch
Rothbraun allmälig in eine leuchtende fast rein dottergelbe Farbe über,
welche den, sich sehr leicht und unaufhörlich ablösenden, dünnen Rinden-
häuten zukommt. Die Rinde der Triebe ist rostgelb und kahl.

Die Krone ist bei keiner Nadelholzart je nach Alter und Standort
so manchfaltig gestaltet, als bei der Kiefer. Schon früher haben wir
gelegentlich erfahren, daß vor Allen die Kiefer, weil sie nur quirl- und
endständige aber keine Seiten-Knospen hat, dazu angethan ist, den
regelmäßigsten Pyramidalwuchs ihr ganzes Leben hindurch haben zu können,
während sie unter allen diesen am Wenigsten hat, wenigstens am Leich-
testen, durch äußere Verhältnisse gezwungen, aufgiebt. Dadurch, daß in
gutem Schluß, den sie aber niemals dicht verträgt, die Kiefer sich sehr
hoch hinauf reinigt, d. h. die abgestorbenen Aeste abwirft, erlangt die
Kiefer nur eine kurze, unbedeutende, lockere Krone, daher sie ihren
Standort bei dem ohnehin lichten Schlusse, den sie verlangt, nur wenig
beschattet. Ist aber eine Kiefer unter günstigen Verhältnissen in hinlänglich
freiem Stande erwachsen, so bekommt sie eine weit ausgreifende, fast
kuppelförmig gewölbte und abgestufte Krone und gewinnt dadurch nicht
selten einen vollständigen Laubholzhabitus, wie der nebenstehende Kupfer-
stich sowohl an dem Hauptbaume, als an den im Hintergrunde auf der
Felsenkuppe stehenden Bäumen zeigt. Jüngere Kiefern zeigen bis zu dem
Zustande wo sie aus dem Dickicht- in das Stangenholzalter übergehen,
wegen ihrer schrägaufwärts strebenden Aeste eine mehr spitzeiförmige, als
pyramidale Krone (siehe die linken Stämmchen auf unserm Bilde.) In
diesem Alter haben die Kiefern im Mai, kurz nach der Vollendung der

aus welcher ſich der erſte Trieb entwickelt, an welchen die Nadeln noch
nicht zu zwei, ſondern einzeln ſtehen, was auf ſehr magerem Boden auch
noch im zweiten, zuweilen ſelbſt noch im dritten Jahre der Fall iſt.

Der Stamm der Kiefer iſt je nach der Beſchaffenheit des Bodens
und dem Grade des Schluſſes entweder gerade und bis hoch hinauf ohne
ſtarke Aeſte, oder er iſt niedrig, bogig und knickig und theilt ſich ſchon
in geringer Höhe in ſtarke, abſtehende Aeſte. Die Rinde älterer Kiefern
iſt am untern Stammtheile mit einer dicken, durch tiefe Längsfurchen
zerriſſenen Borke verſehen und ſchülfert ſich durch eine eigenthümliche
Bildung von Peridermalzellen-Schichten in ihrem Innern leicht in Platten
ab. Die graue Farbe geht in den oberen Theilen der Krone durch
Rothbraun allmälig in eine leuchtende faſt rein dottergelbe Farbe über,
welche den, ſich ſehr leicht und unaufhörlich ablöſenden, dünnen Rinden-
häuten zukommt. Die Rinde der Triebe iſt roſtgelb und kahl.

Die Krone iſt bei keiner Nadelholzart je nach Alter und Standort
ſo manchfaltig geſtaltet, als bei der Kiefer. Schon früher haben wir
gelegentlich erfahren, daß vor Allen die Kiefer, weil ſie nur quirl- und
endſtändige aber keine Seiten-Knospen hat, dazu angethan iſt, den
regelmäßigſten Pyramidalwuchs ihr ganzes Leben hindurch haben zu können,
während ſie unter allen dieſen am Wenigſten hat, wenigſtens am Leich-
teſten, durch äußere Verhältniſſe gezwungen, aufgiebt. Dadurch, daß in
gutem Schluß, den ſie aber niemals dicht verträgt, die Kiefer ſich ſehr
hoch hinauf reinigt, d. h. die abgeſtorbenen Aeſte abwirft, erlangt die
Kiefer nur eine kurze, unbedeutende, lockere Krone, daher ſie ihren
Standort bei dem ohnehin lichten Schluſſe, den ſie verlangt, nur wenig
beſchattet. Iſt aber eine Kiefer unter günſtigen Verhältniſſen in hinlänglich
freiem Stande erwachſen, ſo bekommt ſie eine weit ausgreifende, faſt
kuppelförmig gewölbte und abgeſtufte Krone und gewinnt dadurch nicht
ſelten einen vollſtändigen Laubholzhabitus, wie der nebenſtehende Kupfer-
ſtich ſowohl an dem Hauptbaume, als an den im Hintergrunde auf der
Felſenkuppe ſtehenden Bäumen zeigt. Jüngere Kiefern zeigen bis zu dem
Zuſtande wo ſie aus dem Dickicht- in das Stangenholzalter übergehen,
wegen ihrer ſchrägaufwärts ſtrebenden Aeſte eine mehr ſpitzeiförmige, als
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[261/0287] aus welcher ſich der erſte Trieb entwickelt, an welchen die Nadeln noch nicht zu zwei, ſondern einzeln ſtehen, was auf ſehr magerem Boden auch noch im zweiten, zuweilen ſelbſt noch im dritten Jahre der Fall iſt. Der Stamm der Kiefer iſt je nach der Beſchaffenheit des Bodens und dem Grade des Schluſſes entweder gerade und bis hoch hinauf ohne ſtarke Aeſte, oder er iſt niedrig, bogig und knickig und theilt ſich ſchon in geringer Höhe in ſtarke, abſtehende Aeſte. Die Rinde älterer Kiefern iſt am untern Stammtheile mit einer dicken, durch tiefe Längsfurchen zerriſſenen Borke verſehen und ſchülfert ſich durch eine eigenthümliche Bildung von Peridermalzellen-Schichten in ihrem Innern leicht in Platten ab. Die graue Farbe geht in den oberen Theilen der Krone durch Rothbraun allmälig in eine leuchtende faſt rein dottergelbe Farbe über, welche den, ſich ſehr leicht und unaufhörlich ablöſenden, dünnen Rinden- häuten zukommt. Die Rinde der Triebe iſt roſtgelb und kahl. Die Krone iſt bei keiner Nadelholzart je nach Alter und Standort ſo manchfaltig geſtaltet, als bei der Kiefer. Schon früher haben wir gelegentlich erfahren, daß vor Allen die Kiefer, weil ſie nur quirl- und endſtändige aber keine Seiten-Knospen hat, dazu angethan iſt, den regelmäßigſten Pyramidalwuchs ihr ganzes Leben hindurch haben zu können, während ſie unter allen dieſen am Wenigſten hat, wenigſtens am Leich- teſten, durch äußere Verhältniſſe gezwungen, aufgiebt. Dadurch, daß in gutem Schluß, den ſie aber niemals dicht verträgt, die Kiefer ſich ſehr hoch hinauf reinigt, d. h. die abgeſtorbenen Aeſte abwirft, erlangt die Kiefer nur eine kurze, unbedeutende, lockere Krone, daher ſie ihren Standort bei dem ohnehin lichten Schluſſe, den ſie verlangt, nur wenig beſchattet. Iſt aber eine Kiefer unter günſtigen Verhältniſſen in hinlänglich freiem Stande erwachſen, ſo bekommt ſie eine weit ausgreifende, faſt kuppelförmig gewölbte und abgeſtufte Krone und gewinnt dadurch nicht ſelten einen vollſtändigen Laubholzhabitus, wie der nebenſtehende Kupfer- ſtich ſowohl an dem Hauptbaume, als an den im Hintergrunde auf der Felſenkuppe ſtehenden Bäumen zeigt. Jüngere Kiefern zeigen bis zu dem Zuſtande wo ſie aus dem Dickicht- in das Stangenholzalter übergehen, wegen ihrer ſchrägaufwärts ſtrebenden Aeſte eine mehr ſpitzeiförmige, als pyramidale Krone (ſiehe die linken Stämmchen auf unſerm Bilde.) In dieſem Alter haben die Kiefern im Mai, kurz nach der Vollendung der

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/287>, abgerufen am 17.06.2024.