allmälig zum schlanken Schaftwuchs übergehen und zu einem rechten Baumwuchs gelangt sie oft erst nach anderthalb Jahrhunderten ihres Lebens.
Tschudi nennt die Arve sehr passend Alpen-Ceder, denn in dem ganzen angegebenen Alpengürtel, der schon an der Dauphine anhebt, bietet sie dasselbe Bild dar, wie auf dem Libanon die Ceder. Selbst an denjenigen Orten, wo die Arve in Menge wächst, steht sie nur selten in hinlänglichem Schluß, um von einem wirklichen Bestande reden zu können. Auf der durch ihre Aussicht auf die Jungfrau weltberühmten Wengernalp, wo ich sie allein auf ihrem Heimathsstandorte gesehen habe, machen die vereinzelt umherstehenden abgewetterten Arven einen eigenthümlichen, traurig stimmenden Eindruck. Was man sieht kann man nicht besser bezeichnen, als mit dem Namen einer Waldruine. Kein einziger Baum zeigt sich noch im Besitz aller seiner Aeste, man sieht keine einzige vollständige Krone; mächtige, oft in Splitter ausgehende Aststummel erzählen, daß jeder Baum schon mehr als einmal dem wüthenden Fön seinen Tribut zu zahlen hatte. Die kurzen stämmigen Schäfte, welche 7--8 Fuß Umfang er- reichen, sind nicht selten großentheils entrindet und das hellaschgraue verwitterte Holz hat etwas leichenhaftes, während die ebenfalls entrindeten, aus dem Boden hervortretenden starken Wurzeln schlangenartig dahin kriechen, nur ihre kräftigen Enden tief in den ewig feuchten Alpenboden einsenkend. Ganz abgestorbene und entrindete Bäume, die kein einziges grünendes Reiß mehr haben, bleiben lange Zeit vom Sturme ungeworfen stehen, als Denkmale einstiger Baumherrlichkeit.
Willkomm hat zuerst auf eine eigenthümliche Erscheinung in dem Leben der Arve aufmerksam gemacht, indem dieselben von dem Wipfel an abwärts abzusterben beginnt und in demselben Maaße als dies mit der Hauptachse geschieht, Aeste zu Seitenwipfeln emporrichtet. Willkomm beobachtete solche vielwipfelige Arven namentlich am Wettersteinwalde im bayrischen Hochlande, wo er keine einzige alte Arve ohne dieses auf- fallende Merkmal der mit den Widerwärtigkeiten des Klimas ringenden Verjüngungskraft fand. Diese Seite des Arvenlebens ist ohne Zweifel in der rauhen Hochlage ihrer Heimath bedingt, welche eben nicht im Stande ist, die große Reproduktionskraft dieses äußersten Vorpostens des Baumlebens zu hindern, den Verlust der Hauptachse durch Ueber- tragung ihrer Funktion an eine Seitenachse zu ersetzen.
allmälig zum ſchlanken Schaftwuchs übergehen und zu einem rechten Baumwuchs gelangt ſie oft erſt nach anderthalb Jahrhunderten ihres Lebens.
Tſchudi nennt die Arve ſehr paſſend Alpen-Ceder, denn in dem ganzen angegebenen Alpengürtel, der ſchon an der Dauphinè anhebt, bietet ſie daſſelbe Bild dar, wie auf dem Libanon die Ceder. Selbſt an denjenigen Orten, wo die Arve in Menge wächſt, ſteht ſie nur ſelten in hinlänglichem Schluß, um von einem wirklichen Beſtande reden zu können. Auf der durch ihre Ausſicht auf die Jungfrau weltberühmten Wengernalp, wo ich ſie allein auf ihrem Heimathsſtandorte geſehen habe, machen die vereinzelt umherſtehenden abgewetterten Arven einen eigenthümlichen, traurig ſtimmenden Eindruck. Was man ſieht kann man nicht beſſer bezeichnen, als mit dem Namen einer Waldruine. Kein einziger Baum zeigt ſich noch im Beſitz aller ſeiner Aeſte, man ſieht keine einzige vollſtändige Krone; mächtige, oft in Splitter ausgehende Aſtſtummel erzählen, daß jeder Baum ſchon mehr als einmal dem wüthenden Fön ſeinen Tribut zu zahlen hatte. Die kurzen ſtämmigen Schäfte, welche 7—8 Fuß Umfang er- reichen, ſind nicht ſelten großentheils entrindet und das hellaſchgraue verwitterte Holz hat etwas leichenhaftes, während die ebenfalls entrindeten, aus dem Boden hervortretenden ſtarken Wurzeln ſchlangenartig dahin kriechen, nur ihre kräftigen Enden tief in den ewig feuchten Alpenboden einſenkend. Ganz abgeſtorbene und entrindete Bäume, die kein einziges grünendes Reiß mehr haben, bleiben lange Zeit vom Sturme ungeworfen ſtehen, als Denkmale einſtiger Baumherrlichkeit.
Willkomm hat zuerſt auf eine eigenthümliche Erſcheinung in dem Leben der Arve aufmerkſam gemacht, indem dieſelben von dem Wipfel an abwärts abzuſterben beginnt und in demſelben Maaße als dies mit der Hauptachſe geſchieht, Aeſte zu Seitenwipfeln emporrichtet. Willkomm beobachtete ſolche vielwipfelige Arven namentlich am Wetterſteinwalde im bayriſchen Hochlande, wo er keine einzige alte Arve ohne dieſes auf- fallende Merkmal der mit den Widerwärtigkeiten des Klimas ringenden Verjüngungskraft fand. Dieſe Seite des Arvenlebens iſt ohne Zweifel in der rauhen Hochlage ihrer Heimath bedingt, welche eben nicht im Stande iſt, die große Reproduktionskraft dieſes äußerſten Vorpoſtens des Baumlebens zu hindern, den Verluſt der Hauptachſe durch Ueber- tragung ihrer Funktion an eine Seitenachſe zu erſetzen.
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allmälig zum ſchlanken Schaftwuchs übergehen und zu einem rechten
Baumwuchs gelangt ſie oft erſt nach anderthalb Jahrhunderten ihres Lebens.
Tſchudi nennt die Arve ſehr paſſend Alpen-Ceder, denn in dem
ganzen angegebenen Alpengürtel, der ſchon an der Dauphinè anhebt,
bietet ſie daſſelbe Bild dar, wie auf dem Libanon die Ceder. Selbſt an
denjenigen Orten, wo die Arve in Menge wächſt, ſteht ſie nur ſelten in
hinlänglichem Schluß, um von einem wirklichen Beſtande reden zu können.
Auf der durch ihre Ausſicht auf die Jungfrau weltberühmten Wengernalp,
wo ich ſie allein auf ihrem Heimathsſtandorte geſehen habe, machen die
vereinzelt umherſtehenden abgewetterten Arven einen eigenthümlichen, traurig
ſtimmenden Eindruck. Was man ſieht kann man nicht beſſer bezeichnen, als
mit dem Namen einer Waldruine. Kein einziger Baum zeigt ſich noch im
Beſitz aller ſeiner Aeſte, man ſieht keine einzige vollſtändige Krone;
mächtige, oft in Splitter ausgehende Aſtſtummel erzählen, daß jeder
Baum ſchon mehr als einmal dem wüthenden Fön ſeinen Tribut zu zahlen
hatte. Die kurzen ſtämmigen Schäfte, welche 7—8 Fuß Umfang er-
reichen, ſind nicht ſelten großentheils entrindet und das hellaſchgraue
verwitterte Holz hat etwas leichenhaftes, während die ebenfalls entrindeten,
aus dem Boden hervortretenden ſtarken Wurzeln ſchlangenartig dahin
kriechen, nur ihre kräftigen Enden tief in den ewig feuchten Alpenboden
einſenkend. Ganz abgeſtorbene und entrindete Bäume, die kein einziges
grünendes Reiß mehr haben, bleiben lange Zeit vom Sturme ungeworfen
ſtehen, als Denkmale einſtiger Baumherrlichkeit.
Willkomm hat zuerſt auf eine eigenthümliche Erſcheinung in dem
Leben der Arve aufmerkſam gemacht, indem dieſelben von dem Wipfel
an abwärts abzuſterben beginnt und in demſelben Maaße als dies mit der
Hauptachſe geſchieht, Aeſte zu Seitenwipfeln emporrichtet. Willkomm
beobachtete ſolche vielwipfelige Arven namentlich am Wetterſteinwalde im
bayriſchen Hochlande, wo er keine einzige alte Arve ohne dieſes auf-
fallende Merkmal der mit den Widerwärtigkeiten des Klimas ringenden
Verjüngungskraft fand. Dieſe Seite des Arvenlebens iſt ohne Zweifel
in der rauhen Hochlage ihrer Heimath bedingt, welche eben nicht im
Stande iſt, die große Reproduktionskraft dieſes äußerſten Vorpoſtens
des Baumlebens zu hindern, den Verluſt der Hauptachſe durch Ueber-
tragung ihrer Funktion an eine Seitenachſe zu erſetzen.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/330>, abgerufen am 23.12.2024.
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