Aus tausend Blättern, die am Eichbaum hängen, Und die das Licht der Sonne widerstrahlen, Erklingt uns Kunde, wie von Bardensängen Bei unsrer Ahnen heil'gen Opfermahlen.
Und wenn der Sturm die deutsche Eiche schüttelt, Daß sie sich fester in den Boden klammert -- Wer fühlt sich da nicht mächtig aufgerüttelt, Wer hat sein Deutschland da noch nicht bejammert?
Aus der sinnigen Betrachtung der Nadelhölzer fühlten wir eine erdgeschichtliche Kunde uns entgegenwehen; wir sahen in ihnen die zu Schutz und Trutz fest zusammenhaltenden überlebenden Reste eines vor- mals mächtigen Geschlechts. Der deutsche Laubwald, den wir uns unter dem Zauber herkömmlichen Anschauens zunächst als Eichenwald denken, führt uns blos zurück in die Vorgeschichte unseres Volks. Die Eiche, die in vollster Anerkennung stehende Vertreterin des deutschen Waldes, können wir uns anders als Deutsch gar nicht denken. Sie ist unser Symbolbaum, wie kaum ein anderes Volk einen hat. Darum zieht eben ein alter Laubwald unwiderstehlich unser Sinnen zurück in graue deutsche Vorzeit; nicht weiter. Und fast möchte man sich zur Satyre aufgestachelt fühlen, wenn man bei genauerem Ansehen unseres deutschen Laubwaldes findet, wie er sogar bunt und manchfaltig aus den verschiedensten Baum- arten zusammengesetzt ist. Demnach ist er auch nur ein forstmännischer Begriff, während der Nadelwald ein fester systematischer Begriff ist; jener nur zufällig Verbundenes, dieser verwandtschaftlich Zusammen- gehöriges.
Unsere zusammenfassende Betrachtung der Laubbäume kann darum und muß kürzer sein als bei den Nadelbäumen, weil sie nur über weniges Gemeinsame zu berichten hat.
23*
9. Die Laubbäume.
Aus tauſend Blättern, die am Eichbaum hängen, Und die das Licht der Sonne widerſtrahlen, Erklingt uns Kunde, wie von Bardenſängen Bei unſrer Ahnen heil’gen Opfermahlen.
Und wenn der Sturm die deutſche Eiche ſchüttelt, Daß ſie ſich feſter in den Boden klammert — Wer fühlt ſich da nicht mächtig aufgerüttelt, Wer hat ſein Deutſchland da noch nicht bejammert?
Aus der ſinnigen Betrachtung der Nadelhölzer fühlten wir eine erdgeſchichtliche Kunde uns entgegenwehen; wir ſahen in ihnen die zu Schutz und Trutz feſt zuſammenhaltenden überlebenden Reſte eines vor- mals mächtigen Geſchlechts. Der deutſche Laubwald, den wir uns unter dem Zauber herkömmlichen Anſchauens zunächſt als Eichenwald denken, führt uns blos zurück in die Vorgeſchichte unſeres Volks. Die Eiche, die in vollſter Anerkennung ſtehende Vertreterin des deutſchen Waldes, können wir uns anders als Deutſch gar nicht denken. Sie iſt unſer Symbolbaum, wie kaum ein anderes Volk einen hat. Darum zieht eben ein alter Laubwald unwiderſtehlich unſer Sinnen zurück in graue deutſche Vorzeit; nicht weiter. Und faſt möchte man ſich zur Satyre aufgeſtachelt fühlen, wenn man bei genauerem Anſehen unſeres deutſchen Laubwaldes findet, wie er ſogar bunt und manchfaltig aus den verſchiedenſten Baum- arten zuſammengeſetzt iſt. Demnach iſt er auch nur ein forſtmänniſcher Begriff, während der Nadelwald ein feſter ſyſtematiſcher Begriff iſt; jener nur zufällig Verbundenes, dieſer verwandtſchaftlich Zuſammen- gehöriges.
Unſere zuſammenfaſſende Betrachtung der Laubbäume kann darum und muß kürzer ſein als bei den Nadelbäumen, weil ſie nur über weniges Gemeinſame zu berichten hat.
23*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0389"n="[355]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">9.<lb/>
Die Laubbäume.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Aus tauſend Blättern, die am Eichbaum hängen,</l><lb/><l>Und die das Licht der Sonne widerſtrahlen,</l><lb/><l>Erklingt uns Kunde, wie von Bardenſängen</l><lb/><l>Bei unſrer Ahnen heil’gen Opfermahlen.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Und wenn der Sturm die deutſche Eiche ſchüttelt,</l><lb/><l>Daß ſie ſich feſter in den Boden klammert —</l><lb/><l>Wer fühlt ſich da nicht mächtig aufgerüttelt,</l><lb/><l>Wer hat ſein Deutſchland da noch nicht bejammert?</l></lg></lg><lb/><p>Aus der ſinnigen Betrachtung der Nadelhölzer fühlten wir eine<lb/>
erdgeſchichtliche Kunde uns entgegenwehen; wir ſahen in ihnen die zu<lb/>
Schutz und Trutz feſt zuſammenhaltenden überlebenden Reſte eines vor-<lb/>
mals mächtigen Geſchlechts. Der deutſche Laubwald, den wir uns unter<lb/>
dem Zauber herkömmlichen Anſchauens zunächſt als Eichenwald denken,<lb/>
führt uns blos zurück in die Vorgeſchichte unſeres Volks. Die Eiche,<lb/>
die in vollſter Anerkennung ſtehende Vertreterin des deutſchen Waldes,<lb/>
können wir uns anders als Deutſch gar nicht denken. Sie iſt unſer<lb/>
Symbolbaum, wie kaum ein anderes Volk einen hat. Darum zieht eben<lb/>
ein alter Laubwald unwiderſtehlich unſer Sinnen zurück in graue deutſche<lb/>
Vorzeit; nicht weiter. Und faſt möchte man ſich zur Satyre aufgeſtachelt<lb/>
fühlen, wenn man bei genauerem Anſehen unſeres deutſchen Laubwaldes<lb/>
findet, wie er ſogar bunt und manchfaltig aus den verſchiedenſten Baum-<lb/>
arten zuſammengeſetzt iſt. Demnach iſt er auch nur ein forſtmänniſcher<lb/>
Begriff, während der Nadelwald ein feſter ſyſtematiſcher Begriff iſt;<lb/>
jener nur zufällig Verbundenes, dieſer verwandtſchaftlich Zuſammen-<lb/>
gehöriges.</p><lb/><p>Unſere zuſammenfaſſende Betrachtung der Laubbäume kann darum<lb/>
und muß kürzer ſein als bei den Nadelbäumen, weil ſie nur über weniges<lb/>
Gemeinſame zu berichten hat.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">23*</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[[355]/0389]
9.
Die Laubbäume.
Aus tauſend Blättern, die am Eichbaum hängen,
Und die das Licht der Sonne widerſtrahlen,
Erklingt uns Kunde, wie von Bardenſängen
Bei unſrer Ahnen heil’gen Opfermahlen.
Und wenn der Sturm die deutſche Eiche ſchüttelt,
Daß ſie ſich feſter in den Boden klammert —
Wer fühlt ſich da nicht mächtig aufgerüttelt,
Wer hat ſein Deutſchland da noch nicht bejammert?
Aus der ſinnigen Betrachtung der Nadelhölzer fühlten wir eine
erdgeſchichtliche Kunde uns entgegenwehen; wir ſahen in ihnen die zu
Schutz und Trutz feſt zuſammenhaltenden überlebenden Reſte eines vor-
mals mächtigen Geſchlechts. Der deutſche Laubwald, den wir uns unter
dem Zauber herkömmlichen Anſchauens zunächſt als Eichenwald denken,
führt uns blos zurück in die Vorgeſchichte unſeres Volks. Die Eiche,
die in vollſter Anerkennung ſtehende Vertreterin des deutſchen Waldes,
können wir uns anders als Deutſch gar nicht denken. Sie iſt unſer
Symbolbaum, wie kaum ein anderes Volk einen hat. Darum zieht eben
ein alter Laubwald unwiderſtehlich unſer Sinnen zurück in graue deutſche
Vorzeit; nicht weiter. Und faſt möchte man ſich zur Satyre aufgeſtachelt
fühlen, wenn man bei genauerem Anſehen unſeres deutſchen Laubwaldes
findet, wie er ſogar bunt und manchfaltig aus den verſchiedenſten Baum-
arten zuſammengeſetzt iſt. Demnach iſt er auch nur ein forſtmänniſcher
Begriff, während der Nadelwald ein feſter ſyſtematiſcher Begriff iſt;
jener nur zufällig Verbundenes, dieſer verwandtſchaftlich Zuſammen-
gehöriges.
Unſere zuſammenfaſſende Betrachtung der Laubbäume kann darum
und muß kürzer ſein als bei den Nadelbäumen, weil ſie nur über weniges
Gemeinſame zu berichten hat.
23*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. [355]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/389>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.