gehen, ganz so wie an alten Linden die Wurzelanfänge als platte Strebe- pfeiler vom Stamme ab und in den Boden einzutreten pflegen.
Natürlich knüpft sich an diese Linde, welche den Glauben an ihre Umkehrung fast gebieterisch in Anspruch nimmt, eine fromme Sage. Diese berichtet, daß ein Prediger Einem, der nicht an eine Auferstehung glauben konnte, diese damit bewiesen habe, daß er ein auf dem Friedhof stehendes Bäumchen aus dem Boden riß und indem er es umgekehrt mit der Krone wieder in den Boden pflanzte ausrief: so wahr diese Linde wachsen wird, so wahr ist eine Unsterblichkeit! Wahrer als diese Sage ist, daß die Linde -- an der ich eine Stunde vorher vorübergegangen war -- am 28. Sep- tember 1826 eine furchtbare Feuersgefahr glücklich überstanden hat, denn da brannte die auf dem Friedhofe stehende Hospitalkirche ab, deren Mauern die Linde fast berührt.
An viele unserer denkwürdigen Linden mögen sich ähnliche Sagen anknüpfen; andere stehen zu einem hervorragenden geschichtlichen Ereigniß in Beziehung und in solchen Fällen ist man wahrscheinlich manchmal ge- neigt, auf ein außerordentlich hohes Alter der Bäume zu schließen, weil man vielleicht zu vorschnell eine bereits sehr alte ehrwürdige Linde ab- sichtlich gewählt sein läßt, um durch sie das Ereigniß gewissermaßen zu weihen, nach welchem sie später genannt wurde, während in diesen Fällen vielleicht die Linde zur Bezeichnung des Ereignisses erst gepflanzt worden war. Viele alte Linden stehen auch zu Gerichtsverhandlungen (z. B. die "Fehmlinde" auf dem Bahnhofe in Dortmund), zu Gemeinde- versammlungen, zu Volksfesten, religiösen Feierlichkeiten seit alter Zeit in Beziehung, wovon, wenn auch in veränderter Gestalt, sich Manches bis auf die Gegenwart vererbt hat; und sicher ist keine andere unserer deutschen Baumarten hierzu so häufig benutzt worden wie die Linde.
Die berühmteste und vielleicht älteste Linde Deutschlands ist wohl die zu Donndorf bei Bayreuth, von welcher, da sie am 10. Juli 1849 den letzten ihrer Hauptäste verlor, nur noch der hohle Stamm als Ruine übrig ist. Schon in einer Urkunde von 1369 ist ihrer als einer sehr alten Linde gedacht und 1390 soll sie schon 24 Ellen Umfang gehabt haben. Sie wird von Walser (a. a. O.) auf etwa 1235 Jahre geschätzt, wäre also noch älter als die bisher als die älteste geltende von Chaille bei Melles in Frankreich, deren Alter 1196 Jahre betragen soll.
gehen, ganz ſo wie an alten Linden die Wurzelanfänge als platte Strebe- pfeiler vom Stamme ab und in den Boden einzutreten pflegen.
Natürlich knüpft ſich an dieſe Linde, welche den Glauben an ihre Umkehrung faſt gebieteriſch in Anſpruch nimmt, eine fromme Sage. Dieſe berichtet, daß ein Prediger Einem, der nicht an eine Auferſtehung glauben konnte, dieſe damit bewieſen habe, daß er ein auf dem Friedhof ſtehendes Bäumchen aus dem Boden riß und indem er es umgekehrt mit der Krone wieder in den Boden pflanzte ausrief: ſo wahr dieſe Linde wachſen wird, ſo wahr iſt eine Unſterblichkeit! Wahrer als dieſe Sage iſt, daß die Linde — an der ich eine Stunde vorher vorübergegangen war — am 28. Sep- tember 1826 eine furchtbare Feuersgefahr glücklich überſtanden hat, denn da brannte die auf dem Friedhofe ſtehende Hospitalkirche ab, deren Mauern die Linde faſt berührt.
An viele unſerer denkwürdigen Linden mögen ſich ähnliche Sagen anknüpfen; andere ſtehen zu einem hervorragenden geſchichtlichen Ereigniß in Beziehung und in ſolchen Fällen iſt man wahrſcheinlich manchmal ge- neigt, auf ein außerordentlich hohes Alter der Bäume zu ſchließen, weil man vielleicht zu vorſchnell eine bereits ſehr alte ehrwürdige Linde ab- ſichtlich gewählt ſein läßt, um durch ſie das Ereigniß gewiſſermaßen zu weihen, nach welchem ſie ſpäter genannt wurde, während in dieſen Fällen vielleicht die Linde zur Bezeichnung des Ereigniſſes erſt gepflanzt worden war. Viele alte Linden ſtehen auch zu Gerichtsverhandlungen (z. B. die „Fehmlinde“ auf dem Bahnhofe in Dortmund), zu Gemeinde- verſammlungen, zu Volksfeſten, religiöſen Feierlichkeiten ſeit alter Zeit in Beziehung, wovon, wenn auch in veränderter Geſtalt, ſich Manches bis auf die Gegenwart vererbt hat; und ſicher iſt keine andere unſerer deutſchen Baumarten hierzu ſo häufig benutzt worden wie die Linde.
Die berühmteſte und vielleicht älteſte Linde Deutſchlands iſt wohl die zu Donndorf bei Bayreuth, von welcher, da ſie am 10. Juli 1849 den letzten ihrer Hauptäſte verlor, nur noch der hohle Stamm als Ruine übrig iſt. Schon in einer Urkunde von 1369 iſt ihrer als einer ſehr alten Linde gedacht und 1390 ſoll ſie ſchon 24 Ellen Umfang gehabt haben. Sie wird von Walſer (a. a. O.) auf etwa 1235 Jahre geſchätzt, wäre alſo noch älter als die bisher als die älteſte geltende von Chaillé bei Melles in Frankreich, deren Alter 1196 Jahre betragen ſoll.
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gehen, ganz ſo wie an alten Linden die Wurzelanfänge als platte Strebe-
pfeiler vom Stamme ab und in den Boden einzutreten pflegen.
Natürlich knüpft ſich an dieſe Linde, welche den Glauben an ihre
Umkehrung faſt gebieteriſch in Anſpruch nimmt, eine fromme Sage. Dieſe
berichtet, daß ein Prediger Einem, der nicht an eine Auferſtehung glauben
konnte, dieſe damit bewieſen habe, daß er ein auf dem Friedhof ſtehendes
Bäumchen aus dem Boden riß und indem er es umgekehrt mit der Krone
wieder in den Boden pflanzte ausrief: ſo wahr dieſe Linde wachſen wird, ſo
wahr iſt eine Unſterblichkeit! Wahrer als dieſe Sage iſt, daß die Linde —
an der ich eine Stunde vorher vorübergegangen war — am 28. Sep-
tember 1826 eine furchtbare Feuersgefahr glücklich überſtanden hat, denn da
brannte die auf dem Friedhofe ſtehende Hospitalkirche ab, deren Mauern
die Linde faſt berührt.
An viele unſerer denkwürdigen Linden mögen ſich ähnliche Sagen
anknüpfen; andere ſtehen zu einem hervorragenden geſchichtlichen Ereigniß
in Beziehung und in ſolchen Fällen iſt man wahrſcheinlich manchmal ge-
neigt, auf ein außerordentlich hohes Alter der Bäume zu ſchließen, weil
man vielleicht zu vorſchnell eine bereits ſehr alte ehrwürdige Linde ab-
ſichtlich gewählt ſein läßt, um durch ſie das Ereigniß gewiſſermaßen
zu weihen, nach welchem ſie ſpäter genannt wurde, während in dieſen
Fällen vielleicht die Linde zur Bezeichnung des Ereigniſſes erſt gepflanzt
worden war. Viele alte Linden ſtehen auch zu Gerichtsverhandlungen
(z. B. die „Fehmlinde“ auf dem Bahnhofe in Dortmund), zu Gemeinde-
verſammlungen, zu Volksfeſten, religiöſen Feierlichkeiten ſeit alter Zeit in
Beziehung, wovon, wenn auch in veränderter Geſtalt, ſich Manches bis
auf die Gegenwart vererbt hat; und ſicher iſt keine andere unſerer deutſchen
Baumarten hierzu ſo häufig benutzt worden wie die Linde.
Die berühmteſte und vielleicht älteſte Linde Deutſchlands iſt wohl die
zu Donndorf bei Bayreuth, von welcher, da ſie am 10. Juli 1849 den
letzten ihrer Hauptäſte verlor, nur noch der hohle Stamm als Ruine
übrig iſt. Schon in einer Urkunde von 1369 iſt ihrer als einer ſehr
alten Linde gedacht und 1390 ſoll ſie ſchon 24 Ellen Umfang gehabt
haben. Sie wird von Walſer (a. a. O.) auf etwa 1235 Jahre geſchätzt,
wäre alſo noch älter als die bisher als die älteſte geltende von Chaillé
bei Melles in Frankreich, deren Alter 1196 Jahre betragen ſoll.
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/604>, abgerufen am 23.12.2024.
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