Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Diesem nach bestimmt sich der Werth eines Kunstwerks. Sobald
es seinen Werth in der höchstmöglichen Nachahmung und somit in der
Täuschung sucht, hört es auf ein Kunstwerk zu sein, es wird ein Kunst-
stück, welches den kunstsinnigen Beschauer verstimmt. Darum mögen wir
eine Statue nicht mit den natürlichen Farben bemalt. Je peinlicher die Be-
mühung ist, alle Seiten der Natur nachzuahmen, desto mehr wird das Auge auf
diejenigen gelenkt, wo eine vollendete Nachahmung eine Unmöglichkeit ist.

Dabei ergeht es solchen Werken noch schlimmer als den falschen
Zähnen, weil sie nicht einmal täuschen können.

Die wahre Kunst bescheidet sich daher, es der Natur nicht gleich thun
zu wollen, und zwar deshalb nicht thun zu wollen, weil sie es nicht
kann. Sie stellt sich mit der Natur in ein weises Einverständniß.

Dieses Einverständniß beruht auf der richtigen Würdigung der
beiderseitigen Mittel.

Die plastische Kunst, namentlich die Bildhauerei, hat vor der ma-
lenden Kunst die Körperlichkeit voraus und tritt dadurch der Natur einen
Schritt näher. Aber eben darum hütet sie sich vor dem Vorwurf, der
Natur zu nahe kommen zu wollen, und dann todte Nachäffungen neben
die lebenden Originale zu stellen. Sie hütet sich also vor den Farben,
denn eine mit den lebenden Farben bemalte Statue sagt: weiter kann
ich nicht, und verräth ihre Schwäche, während eine weiße Marmor-
statue sagt: weiter will ich nicht, und ihre Stärke innerhalb weiser
Grenzen zeigt.

Es wird wenig Menschen geben, welche sich in einem Wachsfiguren-
Cabinet nicht unbehaglich fühlen. Diese Unbehaglichkeit, die sich bei
Manchem bis zum Grauen steigert, ist eine Verbannung dieser Art von
Nachbildung aus den Grenzen der wahren Kunst; denn was Unbehaglichkeit,
ja Grauen erweckt, kann nimmermehr auf diesen erhabenen Namen An-
spruch machen.

Noch einen Schritt weiter über die Grenzen des Erlaubten hinaus
sind die durch einen innern Mechanismus beweglichen Wachsfiguren,
welche jenes Gefühl bis zum Schrecken steigern können.

Worin nun liegt das Unzulässige in den Wachsfiguren? Einfach
darin, daß sie außer Form und Farbe auch Stoff und zuletzt gar Bewegung
nachahmen wollen.

4*

Dieſem nach beſtimmt ſich der Werth eines Kunſtwerks. Sobald
es ſeinen Werth in der höchſtmöglichen Nachahmung und ſomit in der
Täuſchung ſucht, hört es auf ein Kunſtwerk zu ſein, es wird ein Kunſt-
ſtück, welches den kunſtſinnigen Beſchauer verſtimmt. Darum mögen wir
eine Statue nicht mit den natürlichen Farben bemalt. Je peinlicher die Be-
mühung iſt, alle Seiten der Natur nachzuahmen, deſto mehr wird das Auge auf
diejenigen gelenkt, wo eine vollendete Nachahmung eine Unmöglichkeit iſt.

Dabei ergeht es ſolchen Werken noch ſchlimmer als den falſchen
Zähnen, weil ſie nicht einmal täuſchen können.

Die wahre Kunſt beſcheidet ſich daher, es der Natur nicht gleich thun
zu wollen, und zwar deshalb nicht thun zu wollen, weil ſie es nicht
kann. Sie ſtellt ſich mit der Natur in ein weiſes Einverſtändniß.

Dieſes Einverſtändniß beruht auf der richtigen Würdigung der
beiderſeitigen Mittel.

Die plaſtiſche Kunſt, namentlich die Bildhauerei, hat vor der ma-
lenden Kunſt die Körperlichkeit voraus und tritt dadurch der Natur einen
Schritt näher. Aber eben darum hütet ſie ſich vor dem Vorwurf, der
Natur zu nahe kommen zu wollen, und dann todte Nachäffungen neben
die lebenden Originale zu ſtellen. Sie hütet ſich alſo vor den Farben,
denn eine mit den lebenden Farben bemalte Statue ſagt: weiter kann
ich nicht, und verräth ihre Schwäche, während eine weiße Marmor-
ſtatue ſagt: weiter will ich nicht, und ihre Stärke innerhalb weiſer
Grenzen zeigt.

Es wird wenig Menſchen geben, welche ſich in einem Wachsfiguren-
Cabinet nicht unbehaglich fühlen. Dieſe Unbehaglichkeit, die ſich bei
Manchem bis zum Grauen ſteigert, iſt eine Verbannung dieſer Art von
Nachbildung aus den Grenzen der wahren Kunſt; denn was Unbehaglichkeit,
ja Grauen erweckt, kann nimmermehr auf dieſen erhabenen Namen An-
ſpruch machen.

Noch einen Schritt weiter über die Grenzen des Erlaubten hinaus
ſind die durch einen innern Mechanismus beweglichen Wachsfiguren,
welche jenes Gefühl bis zum Schrecken ſteigern können.

Worin nun liegt das Unzuläſſige in den Wachsfiguren? Einfach
darin, daß ſie außer Form und Farbe auch Stoff und zuletzt gar Bewegung
nachahmen wollen.

4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0075" n="51"/>
          <p>Die&#x017F;em nach be&#x017F;timmt &#x017F;ich der Werth eines Kun&#x017F;twerks. Sobald<lb/>
es &#x017F;einen Werth in der höch&#x017F;tmöglichen Nachahmung und &#x017F;omit in der<lb/>
Täu&#x017F;chung &#x017F;ucht, hört es auf ein Kun&#x017F;twerk zu &#x017F;ein, es wird ein Kun&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;tück, welches den kun&#x017F;t&#x017F;innigen Be&#x017F;chauer ver&#x017F;timmt. Darum mögen wir<lb/>
eine Statue nicht mit den natürlichen Farben bemalt. Je peinlicher die Be-<lb/>
mühung i&#x017F;t, alle Seiten der Natur nachzuahmen, de&#x017F;to mehr wird das Auge auf<lb/>
diejenigen gelenkt, wo eine vollendete Nachahmung eine Unmöglichkeit i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Dabei ergeht es &#x017F;olchen Werken noch &#x017F;chlimmer als den fal&#x017F;chen<lb/>
Zähnen, weil &#x017F;ie nicht einmal täu&#x017F;chen können.</p><lb/>
          <p>Die wahre Kun&#x017F;t be&#x017F;cheidet &#x017F;ich daher, es der Natur nicht gleich thun<lb/>
zu wollen, und zwar deshalb nicht thun zu wollen, weil &#x017F;ie es nicht<lb/>
kann. Sie &#x017F;tellt &#x017F;ich mit der Natur in ein wei&#x017F;es Einver&#x017F;tändniß.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es Einver&#x017F;tändniß beruht auf der richtigen Würdigung der<lb/>
beider&#x017F;eitigen Mittel.</p><lb/>
          <p>Die pla&#x017F;ti&#x017F;che Kun&#x017F;t, namentlich die Bildhauerei, hat vor der ma-<lb/>
lenden Kun&#x017F;t die Körperlichkeit voraus und tritt dadurch der Natur einen<lb/>
Schritt näher. Aber eben darum hütet &#x017F;ie &#x017F;ich vor dem Vorwurf, der<lb/>
Natur zu nahe kommen zu wollen, und dann todte Nachäffungen neben<lb/>
die lebenden Originale zu &#x017F;tellen. Sie hütet &#x017F;ich al&#x017F;o vor den Farben,<lb/>
denn eine mit den lebenden Farben bemalte Statue &#x017F;agt: weiter <hi rendition="#g">kann</hi><lb/>
ich nicht, und verräth ihre <hi rendition="#g">Schwäche</hi>, während eine weiße Marmor-<lb/>
&#x017F;tatue &#x017F;agt: weiter <hi rendition="#g">will</hi> ich nicht, und ihre <hi rendition="#g">Stärke</hi> innerhalb wei&#x017F;er<lb/>
Grenzen zeigt.</p><lb/>
          <p>Es wird wenig Men&#x017F;chen geben, welche &#x017F;ich in einem Wachsfiguren-<lb/>
Cabinet nicht unbehaglich fühlen. Die&#x017F;e Unbehaglichkeit, die &#x017F;ich bei<lb/>
Manchem bis zum Grauen &#x017F;teigert, i&#x017F;t eine Verbannung die&#x017F;er Art von<lb/>
Nachbildung aus den Grenzen der wahren Kun&#x017F;t; denn was Unbehaglichkeit,<lb/>
ja Grauen erweckt, kann nimmermehr auf die&#x017F;en erhabenen Namen An-<lb/>
&#x017F;pruch machen.</p><lb/>
          <p>Noch einen Schritt weiter über die Grenzen des Erlaubten hinaus<lb/>
&#x017F;ind die durch einen innern Mechanismus beweglichen Wachsfiguren,<lb/>
welche jenes Gefühl bis zum Schrecken &#x017F;teigern können.</p><lb/>
          <p>Worin nun liegt das Unzulä&#x017F;&#x017F;ige in den Wachsfiguren? Einfach<lb/>
darin, daß &#x017F;ie außer Form und Farbe auch Stoff und zuletzt gar Bewegung<lb/>
nachahmen wollen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0075] Dieſem nach beſtimmt ſich der Werth eines Kunſtwerks. Sobald es ſeinen Werth in der höchſtmöglichen Nachahmung und ſomit in der Täuſchung ſucht, hört es auf ein Kunſtwerk zu ſein, es wird ein Kunſt- ſtück, welches den kunſtſinnigen Beſchauer verſtimmt. Darum mögen wir eine Statue nicht mit den natürlichen Farben bemalt. Je peinlicher die Be- mühung iſt, alle Seiten der Natur nachzuahmen, deſto mehr wird das Auge auf diejenigen gelenkt, wo eine vollendete Nachahmung eine Unmöglichkeit iſt. Dabei ergeht es ſolchen Werken noch ſchlimmer als den falſchen Zähnen, weil ſie nicht einmal täuſchen können. Die wahre Kunſt beſcheidet ſich daher, es der Natur nicht gleich thun zu wollen, und zwar deshalb nicht thun zu wollen, weil ſie es nicht kann. Sie ſtellt ſich mit der Natur in ein weiſes Einverſtändniß. Dieſes Einverſtändniß beruht auf der richtigen Würdigung der beiderſeitigen Mittel. Die plaſtiſche Kunſt, namentlich die Bildhauerei, hat vor der ma- lenden Kunſt die Körperlichkeit voraus und tritt dadurch der Natur einen Schritt näher. Aber eben darum hütet ſie ſich vor dem Vorwurf, der Natur zu nahe kommen zu wollen, und dann todte Nachäffungen neben die lebenden Originale zu ſtellen. Sie hütet ſich alſo vor den Farben, denn eine mit den lebenden Farben bemalte Statue ſagt: weiter kann ich nicht, und verräth ihre Schwäche, während eine weiße Marmor- ſtatue ſagt: weiter will ich nicht, und ihre Stärke innerhalb weiſer Grenzen zeigt. Es wird wenig Menſchen geben, welche ſich in einem Wachsfiguren- Cabinet nicht unbehaglich fühlen. Dieſe Unbehaglichkeit, die ſich bei Manchem bis zum Grauen ſteigert, iſt eine Verbannung dieſer Art von Nachbildung aus den Grenzen der wahren Kunſt; denn was Unbehaglichkeit, ja Grauen erweckt, kann nimmermehr auf dieſen erhabenen Namen An- ſpruch machen. Noch einen Schritt weiter über die Grenzen des Erlaubten hinaus ſind die durch einen innern Mechanismus beweglichen Wachsfiguren, welche jenes Gefühl bis zum Schrecken ſteigern können. Worin nun liegt das Unzuläſſige in den Wachsfiguren? Einfach darin, daß ſie außer Form und Farbe auch Stoff und zuletzt gar Bewegung nachahmen wollen. 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/75
Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/75>, abgerufen am 22.12.2024.