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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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bis zu einem gewissen Grade mit den Verhältnissen der Verbreitung
der Pflanzen und mit der Geognosie bekannt sein.

Die geognostische, d. h. die Gesteins-Beschaffenheit der Gebirge übt
einen wesentlichen Einfluß aus auf die Umrisse der Berge und auf die
Einzelheiten der Felsen. Die Art der Verwitterung, die Zerklüftung in
Bänke oder Platten oder in unregelmäßige Blöcke, ebenso wie die Fär-
bung, sind nicht der Willkühr des Malers anheim gegeben, sondern unter-
liegen bei den verschiedenen Gebirgsformationen festen Regeln, die beachtet
werden müssen. Es erhöht den Werth einer felsigen Landschaft bedeutend,
wenn der Kundige darin auf diese Merkmale Bedacht genommen sieht.
Aber gerade hierbei wird gar oft das bunteste Durcheinander willkührlicher
Felsendetails gemalt."*)

Ich wiederhole, was ich in dieser wiedergegebenen kleinen Anregung
zu tieferem Nachdenken über das Verhältniß zwischen Kunst und Natur
eben sagte, daß es diesem Buche eine wesentliche Aufgabe ist, alle Welt
und namentlich den Landschaftsmaler zu veranlassen, die Bäume zu studiren,
um sich dadurch das Wohlgefallen an der Natur und an guten Bildern
zu erhöhen, und die Landschaftsmaler, um gute Bilder malen zu lernen.

Bei der Ausführung der unserem Buche beigegebenen Baumbilder
ist es mir recht klar geworden, wie wenig wir im Allgemeinen daran ge-
wöhnt worden sind, sehenzulernen, was der Naturkundige Sehen nennt.
Meine Freunde, denen ich diese Bilder verdanke, gestehen es mir jetzt
gern ein, daß sie dazu erst haben sehen lernen müssen und daß sie das
meiste Baumverständniß auf unseren winterlichen Waldgängen gewonnen
haben. Was sie dabei außerdem noch gewonnen haben, daß möchte ich
alle meine Leser und Leserinnen auch gewinnen lassen: eine ungeahnte
Steigerung und Vergeistigung ihrer Freude am Walde.

Wenn im Frühjahr endlich die neuen Triebe des Waldes kommen
und das zarte gelbliche Grün aus tausend Knospen hervorbricht, da denkt
man nicht daran, rückwärts zu messen und zu prüfen, was schon früher
geworden -- man freut sich an dem Werdenden; und diese Freude am
Werden benimmt uns das Nachdenken über das Gesetz des Werdens.

*) Aus dem naturwissenschaftlichen Volksblatte des Verfassers "Aus der Heimath".
Jahrg. 1859. Nr. 22.

bis zu einem gewiſſen Grade mit den Verhältniſſen der Verbreitung
der Pflanzen und mit der Geognoſie bekannt ſein.

Die geognoſtiſche, d. h. die Geſteins-Beſchaffenheit der Gebirge übt
einen weſentlichen Einfluß aus auf die Umriſſe der Berge und auf die
Einzelheiten der Felſen. Die Art der Verwitterung, die Zerklüftung in
Bänke oder Platten oder in unregelmäßige Blöcke, ebenſo wie die Fär-
bung, ſind nicht der Willkühr des Malers anheim gegeben, ſondern unter-
liegen bei den verſchiedenen Gebirgsformationen feſten Regeln, die beachtet
werden müſſen. Es erhöht den Werth einer felſigen Landſchaft bedeutend,
wenn der Kundige darin auf dieſe Merkmale Bedacht genommen ſieht.
Aber gerade hierbei wird gar oft das bunteſte Durcheinander willkührlicher
Felſendetails gemalt.“*)

Ich wiederhole, was ich in dieſer wiedergegebenen kleinen Anregung
zu tieferem Nachdenken über das Verhältniß zwiſchen Kunſt und Natur
eben ſagte, daß es dieſem Buche eine weſentliche Aufgabe iſt, alle Welt
und namentlich den Landſchaftsmaler zu veranlaſſen, die Bäume zu ſtudiren,
um ſich dadurch das Wohlgefallen an der Natur und an guten Bildern
zu erhöhen, und die Landſchaftsmaler, um gute Bilder malen zu lernen.

Bei der Ausführung der unſerem Buche beigegebenen Baumbilder
iſt es mir recht klar geworden, wie wenig wir im Allgemeinen daran ge-
wöhnt worden ſind, ſehenzulernen, was der Naturkundige Sehen nennt.
Meine Freunde, denen ich dieſe Bilder verdanke, geſtehen es mir jetzt
gern ein, daß ſie dazu erſt haben ſehen lernen müſſen und daß ſie das
meiſte Baumverſtändniß auf unſeren winterlichen Waldgängen gewonnen
haben. Was ſie dabei außerdem noch gewonnen haben, daß möchte ich
alle meine Leſer und Leſerinnen auch gewinnen laſſen: eine ungeahnte
Steigerung und Vergeiſtigung ihrer Freude am Walde.

Wenn im Frühjahr endlich die neuen Triebe des Waldes kommen
und das zarte gelbliche Grün aus tauſend Knospen hervorbricht, da denkt
man nicht daran, rückwärts zu meſſen und zu prüfen, was ſchon früher
geworden — man freut ſich an dem Werdenden; und dieſe Freude am
Werden benimmt uns das Nachdenken über das Geſetz des Werdens.

*) Aus dem naturwiſſenſchaftlichen Volksblatte des Verfaſſers „Aus der Heimath“.
Jahrg. 1859. Nr. 22.
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[57/0081] bis zu einem gewiſſen Grade mit den Verhältniſſen der Verbreitung der Pflanzen und mit der Geognoſie bekannt ſein. Die geognoſtiſche, d. h. die Geſteins-Beſchaffenheit der Gebirge übt einen weſentlichen Einfluß aus auf die Umriſſe der Berge und auf die Einzelheiten der Felſen. Die Art der Verwitterung, die Zerklüftung in Bänke oder Platten oder in unregelmäßige Blöcke, ebenſo wie die Fär- bung, ſind nicht der Willkühr des Malers anheim gegeben, ſondern unter- liegen bei den verſchiedenen Gebirgsformationen feſten Regeln, die beachtet werden müſſen. Es erhöht den Werth einer felſigen Landſchaft bedeutend, wenn der Kundige darin auf dieſe Merkmale Bedacht genommen ſieht. Aber gerade hierbei wird gar oft das bunteſte Durcheinander willkührlicher Felſendetails gemalt.“ *) Ich wiederhole, was ich in dieſer wiedergegebenen kleinen Anregung zu tieferem Nachdenken über das Verhältniß zwiſchen Kunſt und Natur eben ſagte, daß es dieſem Buche eine weſentliche Aufgabe iſt, alle Welt und namentlich den Landſchaftsmaler zu veranlaſſen, die Bäume zu ſtudiren, um ſich dadurch das Wohlgefallen an der Natur und an guten Bildern zu erhöhen, und die Landſchaftsmaler, um gute Bilder malen zu lernen. Bei der Ausführung der unſerem Buche beigegebenen Baumbilder iſt es mir recht klar geworden, wie wenig wir im Allgemeinen daran ge- wöhnt worden ſind, ſehenzulernen, was der Naturkundige Sehen nennt. Meine Freunde, denen ich dieſe Bilder verdanke, geſtehen es mir jetzt gern ein, daß ſie dazu erſt haben ſehen lernen müſſen und daß ſie das meiſte Baumverſtändniß auf unſeren winterlichen Waldgängen gewonnen haben. Was ſie dabei außerdem noch gewonnen haben, daß möchte ich alle meine Leſer und Leſerinnen auch gewinnen laſſen: eine ungeahnte Steigerung und Vergeiſtigung ihrer Freude am Walde. Wenn im Frühjahr endlich die neuen Triebe des Waldes kommen und das zarte gelbliche Grün aus tauſend Knospen hervorbricht, da denkt man nicht daran, rückwärts zu meſſen und zu prüfen, was ſchon früher geworden — man freut ſich an dem Werdenden; und dieſe Freude am Werden benimmt uns das Nachdenken über das Geſetz des Werdens. *) Aus dem naturwiſſenſchaftlichen Volksblatte des Verfaſſers „Aus der Heimath“. Jahrg. 1859. Nr. 22.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/81>, abgerufen am 18.05.2024.