Mit der Leistung und dem Verbrauch tritt ein neues Er- forderniss ein, welches von der grössten Bedeutung ist und das ganze organische Geschehen beherrscht. Da die reflectorischen Leistungen die herrschenden sein müssen, diese aber ungleich- mässig stattfinden, so muss auch der Verbrauch gleichmässig bald erhöht bald vermindert sein, und es ist nun die Frage, wie sich dazu die Assimilation stellt. Geht sie gleichmässig fort, so wird bald Ueberschuss bald Gleichgewicht, bald bei starker anhaltender Function Tod, Selbstelimination eintreten. Um letzteres zu vermeiden, muss nothwendig die Assimilation in Abhängigkeit sein von dem Verbrauche oder von dem Reiz, welcher den Verbrauch hervorruft. Es muss also bei stärkerem Verbrauch das Bestreben, Nahrung aufzunehmen, und die Fähig- keit, sie zu assimiliren, gesteigert sein, statt durch die Ver- minderung des Stoffes geschwächt zu werden. Die Dauer- processe müssen Hunger haben. Dieses Wort ist hier natürlich nicht als eine bewusste Empfindung, sondern in der Bedeutung einer stärkeren chemischen Affinität zur Nahrung bei stärkerem Nahrungsbedürfniss aufzufassen. Also auch die Nahrungsaufnahme und die Assimilation müssen der Selbstregulation unterliegen, wie wir das auch noch in der einfachsten Weise bei der Flamme verwirklicht sehen. Das Gleiche muss von der Ausscheidung des Verbrauchten gelten. Findet diese Ausscheidung unab- änderlich gleichmässig statt, so würde bei stärkerem Verbrauch Anhäufung desselben eintreten, da die Ausscheidungsprodukte stets Differentes von dem Organismus, im günstigsten Falle einfach Unbrauchbares darstellen und mindestens durch ihre Anwesenheit hemmen oder, da sie chemisch nicht indifferent sind, die Lebensprocesse direct chemisch stören. Also auch die Ausscheidung muss der Selbstregulation durch das Bedürf- niss unterworfen sein, wofür wir wiederum das einfachste Bei-
V. Ueber das Wesen des Organischen.
Mit der Leistung und dem Verbrauch tritt ein neues Er- forderniss ein, welches von der grössten Bedeutung ist und das ganze organische Geschehen beherrscht. Da die reflectorischen Leistungen die herrschenden sein müssen, diese aber ungleich- mässig stattfinden, so muss auch der Verbrauch gleichmässig bald erhöht bald vermindert sein, und es ist nun die Frage, wie sich dazu die Assimilation stellt. Geht sie gleichmässig fort, so wird bald Ueberschuss bald Gleichgewicht, bald bei starker anhaltender Function Tod, Selbstelimination eintreten. Um letzteres zu vermeiden, muss nothwendig die Assimilation in Abhängigkeit sein von dem Verbrauche oder von dem Reiz, welcher den Verbrauch hervorruft. Es muss also bei stärkerem Verbrauch das Bestreben, Nahrung aufzunehmen, und die Fähig- keit, sie zu assimiliren, gesteigert sein, statt durch die Ver- minderung des Stoffes geschwächt zu werden. Die Dauer- processe müssen Hunger haben. Dieses Wort ist hier natürlich nicht als eine bewusste Empfindung, sondern in der Bedeutung einer stärkeren chemischen Affinität zur Nahrung bei stärkerem Nahrungsbedürfniss aufzufassen. Also auch die Nahrungsaufnahme und die Assimilation müssen der Selbstregulation unterliegen, wie wir das auch noch in der einfachsten Weise bei der Flamme verwirklicht sehen. Das Gleiche muss von der Ausscheidung des Verbrauchten gelten. Findet diese Ausscheidung unab- änderlich gleichmässig statt, so würde bei stärkerem Verbrauch Anhäufung desselben eintreten, da die Ausscheidungsprodukte stets Differentes von dem Organismus, im günstigsten Falle einfach Unbrauchbares darstellen und mindestens durch ihre Anwesenheit hemmen oder, da sie chemisch nicht indifferent sind, die Lebensprocesse direct chemisch stören. Also auch die Ausscheidung muss der Selbstregulation durch das Bedürf- niss unterworfen sein, wofür wir wiederum das einfachste Bei-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0236"n="222"/><fwplace="top"type="header">V. Ueber das Wesen des Organischen.</fw><lb/><p>Mit der Leistung und dem Verbrauch tritt ein neues Er-<lb/>
forderniss ein, welches von der grössten Bedeutung ist und das<lb/>
ganze organische Geschehen beherrscht. Da die reflectorischen<lb/>
Leistungen die herrschenden sein müssen, diese aber ungleich-<lb/>
mässig stattfinden, so muss auch der Verbrauch gleichmässig<lb/>
bald erhöht bald vermindert sein, und es ist nun die Frage,<lb/>
wie sich dazu die Assimilation stellt. Geht sie gleichmässig<lb/>
fort, so wird bald Ueberschuss bald Gleichgewicht, bald bei<lb/>
starker anhaltender Function Tod, Selbstelimination eintreten.<lb/>
Um letzteres zu vermeiden, muss nothwendig die Assimilation<lb/>
in Abhängigkeit sein von dem Verbrauche oder von dem Reiz,<lb/>
welcher den Verbrauch hervorruft. Es muss also bei stärkerem<lb/>
Verbrauch das Bestreben, Nahrung aufzunehmen, und die Fähig-<lb/>
keit, sie zu assimiliren, gesteigert sein, statt durch die Ver-<lb/>
minderung des Stoffes geschwächt zu werden. <hirendition="#g">Die Dauer-<lb/>
processe müssen Hunger haben</hi>. Dieses Wort ist hier<lb/>
natürlich nicht als eine bewusste Empfindung, sondern in der<lb/>
Bedeutung einer stärkeren chemischen Affinität zur Nahrung bei<lb/>
stärkerem Nahrungsbedürfniss aufzufassen. <hirendition="#g">Also auch die<lb/>
Nahrungsaufnahme und die Assimilation müssen<lb/>
der Selbstregulation unterliegen</hi>, wie wir das auch<lb/>
noch in der einfachsten Weise bei der Flamme verwirklicht<lb/>
sehen. <hirendition="#g">Das Gleiche muss von der Ausscheidung des<lb/>
Verbrauchten gelten</hi>. Findet diese Ausscheidung unab-<lb/>
änderlich gleichmässig statt, so würde bei stärkerem Verbrauch<lb/>
Anhäufung desselben eintreten, da die Ausscheidungsprodukte<lb/>
stets Differentes von dem Organismus, im günstigsten Falle<lb/>
einfach Unbrauchbares darstellen und mindestens durch ihre<lb/>
Anwesenheit hemmen oder, da sie chemisch nicht indifferent<lb/>
sind, die Lebensprocesse direct chemisch stören. Also auch<lb/>
die Ausscheidung muss der Selbstregulation durch das Bedürf-<lb/>
niss unterworfen sein, wofür wir wiederum das einfachste Bei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[222/0236]
V. Ueber das Wesen des Organischen.
Mit der Leistung und dem Verbrauch tritt ein neues Er-
forderniss ein, welches von der grössten Bedeutung ist und das
ganze organische Geschehen beherrscht. Da die reflectorischen
Leistungen die herrschenden sein müssen, diese aber ungleich-
mässig stattfinden, so muss auch der Verbrauch gleichmässig
bald erhöht bald vermindert sein, und es ist nun die Frage,
wie sich dazu die Assimilation stellt. Geht sie gleichmässig
fort, so wird bald Ueberschuss bald Gleichgewicht, bald bei
starker anhaltender Function Tod, Selbstelimination eintreten.
Um letzteres zu vermeiden, muss nothwendig die Assimilation
in Abhängigkeit sein von dem Verbrauche oder von dem Reiz,
welcher den Verbrauch hervorruft. Es muss also bei stärkerem
Verbrauch das Bestreben, Nahrung aufzunehmen, und die Fähig-
keit, sie zu assimiliren, gesteigert sein, statt durch die Ver-
minderung des Stoffes geschwächt zu werden. Die Dauer-
processe müssen Hunger haben. Dieses Wort ist hier
natürlich nicht als eine bewusste Empfindung, sondern in der
Bedeutung einer stärkeren chemischen Affinität zur Nahrung bei
stärkerem Nahrungsbedürfniss aufzufassen. Also auch die
Nahrungsaufnahme und die Assimilation müssen
der Selbstregulation unterliegen, wie wir das auch
noch in der einfachsten Weise bei der Flamme verwirklicht
sehen. Das Gleiche muss von der Ausscheidung des
Verbrauchten gelten. Findet diese Ausscheidung unab-
änderlich gleichmässig statt, so würde bei stärkerem Verbrauch
Anhäufung desselben eintreten, da die Ausscheidungsprodukte
stets Differentes von dem Organismus, im günstigsten Falle
einfach Unbrauchbares darstellen und mindestens durch ihre
Anwesenheit hemmen oder, da sie chemisch nicht indifferent
sind, die Lebensprocesse direct chemisch stören. Also auch
die Ausscheidung muss der Selbstregulation durch das Bedürf-
niss unterworfen sein, wofür wir wiederum das einfachste Bei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/236>, abgerufen am 19.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.