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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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reinen Aether zu schweben. Der Weg längs dem
Gebirg hin, den ich so oft gemacht, schien mir
heute ganz neu. Und konnt' es anders seyn?
Ging ich nicht in eine ganz frische Lebensbahn,
mit ganz neuen Aussichten hinein?

Die Abendglocken läuteten aus den nahen Ort-
schaften, die Landleute, die ihre Fruchtfelder be-
sucht, und froh unter der Segenshoffnung heim-
kehrten, grüßten im reinlichen Sontagsgewande
so freundlich und doch so ehrerbietig in den Wa-
gen, daß Jda sagte: "nicht wahr, Tante Sel-
ma, die guten Bauern haben uns lieb? Aber
ich habe sie auch lieb, und will mich nicht mehr
fürchten, wenn sie schmutzig aussehen. Sonn-
tags habe ich sie aber doch viel lieber, als in
der Woche." --

Der verständige Woldemar fing nun an,
es ihr zu erklären, warum sie in der Woche
nicht reinlich aussehen könnten, und wie die
Reinlichkeit überhaupt den Gewerbs-Leuten
nicht so sehr angemuthet werden dürfe, als uns
andern, die wir eine feinere Lebensweise führen.



reinen Aether zu ſchweben. Der Weg längs dem
Gebirg hin, den ich ſo oft gemacht, ſchien mir
heute ganz neu. Und konnt’ es anders ſeyn?
Ging ich nicht in eine ganz friſche Lebensbahn,
mit ganz neuen Ausſichten hinein?

Die Abendglocken läuteten aus den nahen Ort-
ſchaften, die Landleute, die ihre Fruchtfelder be-
ſucht, und froh unter der Segenshoffnung heim-
kehrten, grüßten im reinlichen Sontagsgewande
ſo freundlich und doch ſo ehrerbietig in den Wa-
gen, daß Jda ſagte: „nicht wahr, Tante Sel-
ma, die guten Bauern haben uns lieb? Aber
ich habe ſie auch lieb, und will mich nicht mehr
fürchten, wenn ſie ſchmutzig ausſehen. Sonn-
tags habe ich ſie aber doch viel lieber, als in
der Woche.‟ —

Der verſtändige Woldemar fing nun an,
es ihr zu erklären, warum ſie in der Woche
nicht reinlich ausſehen könnten, und wie die
Reinlichkeit überhaupt den Gewerbs-Leuten
nicht ſo ſehr angemuthet werden dürfe, als uns
andern, die wir eine feinere Lebensweiſe führen.

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[132/0146] reinen Aether zu ſchweben. Der Weg längs dem Gebirg hin, den ich ſo oft gemacht, ſchien mir heute ganz neu. Und konnt’ es anders ſeyn? Ging ich nicht in eine ganz friſche Lebensbahn, mit ganz neuen Ausſichten hinein? Die Abendglocken läuteten aus den nahen Ort- ſchaften, die Landleute, die ihre Fruchtfelder be- ſucht, und froh unter der Segenshoffnung heim- kehrten, grüßten im reinlichen Sontagsgewande ſo freundlich und doch ſo ehrerbietig in den Wa- gen, daß Jda ſagte: „nicht wahr, Tante Sel- ma, die guten Bauern haben uns lieb? Aber ich habe ſie auch lieb, und will mich nicht mehr fürchten, wenn ſie ſchmutzig ausſehen. Sonn- tags habe ich ſie aber doch viel lieber, als in der Woche.‟ — Der verſtändige Woldemar fing nun an, es ihr zu erklären, warum ſie in der Woche nicht reinlich ausſehen könnten, und wie die Reinlichkeit überhaupt den Gewerbs-Leuten nicht ſo ſehr angemuthet werden dürfe, als uns andern, die wir eine feinere Lebensweiſe führen.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/146>, abgerufen am 24.11.2024.