sey. Am Abend, als sie mir gute Nacht sagte, wisperte sie mir in's Ohr: Heute war ich nicht schlecht, Tante! Jch drückte sie innig an mich, und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude seyn im Himmel über einen Sünder, u. s. w. Jn meinem Jnnern war himmlische Freude. Jetzt ist der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht: nun ist sie bildungs- und besserungsfähig.
Heute nichts mehr, geliebte Emma!
Zwei und zwanzigster Brief.
Jch habe Dir lange nicht geschrieben, beste Emma. Unsere Kinder waren eine Zeitlang mit mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit seinem Mentor in der Stadt, und sie kamen nur, um uns wieder zu holen. Er mußte während unserer Ab- wesenheit dem alten Paul sein Wochengeld aus- zahlen, und Jda's und Mathildens Vögel besor- gen, auch war er unterdessen Jda's Hofgärtner. Der Abschied der Kinder von einander war so, als ob sie sich auf lange trennen sollten. Wir
ſey. Am Abend, als ſie mir gute Nacht ſagte, wiſperte ſie mir in’s Ohr: Heute war ich nicht ſchlecht, Tante! Jch drückte ſie innig an mich, und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude ſeyn im Himmel über einen Sünder, u. ſ. w. Jn meinem Jnnern war himmliſche Freude. Jetzt iſt der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht: nun iſt ſie bildungs- und beſſerungsfähig.
Heute nichts mehr, geliebte Emma!
Zwei und zwanzigſter Brief.
Jch habe Dir lange nicht geſchrieben, beſte Emma. Unſere Kinder waren eine Zeitlang mit mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit ſeinem Mentor in der Stadt, und ſie kamen nur, um uns wieder zu holen. Er mußte während unſerer Ab- weſenheit dem alten Paul ſein Wochengeld aus- zahlen, und Jda’s und Mathildens Vögel beſor- gen, auch war er unterdeſſen Jda’s Hofgärtner. Der Abſchied der Kinder von einander war ſo, als ob ſie ſich auf lange trennen ſollten. Wir
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ſey. Am Abend, als ſie mir gute Nacht ſagte,
wiſperte ſie mir in’s Ohr: Heute war ich nicht
ſchlecht, Tante! Jch drückte ſie innig an mich,
und mich durchbebte der Spruch: es wird Freude
ſeyn im Himmel über einen Sünder, u. ſ. w.
Jn meinem Jnnern war himmliſche Freude. Jetzt
iſt der wahre Anfang zu ihrer Erziehung gemacht:
nun iſt ſie bildungs- und beſſerungsfähig.
Heute nichts mehr, geliebte Emma!
Zwei und zwanzigſter Brief.
Jch habe Dir lange nicht geſchrieben, beſte
Emma. Unſere Kinder waren eine Zeitlang mit
mir auf dem Lande. Woldemar blieb mit ſeinem
Mentor in der Stadt, und ſie kamen nur, um uns
wieder zu holen. Er mußte während unſerer Ab-
weſenheit dem alten Paul ſein Wochengeld aus-
zahlen, und Jda’s und Mathildens Vögel beſor-
gen, auch war er unterdeſſen Jda’s Hofgärtner.
Der Abſchied der Kinder von einander war ſo,
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/185>, abgerufen am 24.11.2024.
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