Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem Bescheide, er sey nicht krank, könne aber nicht kommen, und wolle auch das Geld nicht. Diese Antwort betrübte das Kind sehr, und ich selbst war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen, wie es damit sey. Jch schickte noch einmal hin, und ließ ihm sagen, er solle entweder heute kommen, wenn er nicht krank sey, oder er werde Jda niemals wieder sehen. Das half. Er kam; aber sein Anblick ging mir durch die Seele. Be- schämt und verwirrt im höchsten Grade stand er vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich zugegen war.
Jch. Warum wolltest du nicht kommen, Paul? Du hast Jda sehr betrübt.
Paul. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu sehr schämen müßte.
Jch. Was hast du gemacht, Paul? Du machst mich ganz unruhig. Sag', was hast du gethan?
Paul. Mein Gelübde habe ich gebrochen.
Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem Beſcheide, er ſey nicht krank, könne aber nicht kommen, und wolle auch das Geld nicht. Dieſe Antwort betrübte das Kind ſehr, und ich ſelbſt war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen, wie es damit ſey. Jch ſchickte noch einmal hin, und ließ ihm ſagen, er ſolle entweder heute kommen, wenn er nicht krank ſey, oder er werde Jda niemals wieder ſehen. Das half. Er kam; aber ſein Anblick ging mir durch die Seele. Be- ſchämt und verwirrt im höchſten Grade ſtand er vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich zugegen war.
Jch. Warum wollteſt du nicht kommen, Paul? Du haſt Jda ſehr betrübt.
Paul. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu ſehr ſchämen müßte.
Jch. Was haſt du gemacht, Paul? Du machſt mich ganz unruhig. Sag’, was haſt du gethan?
Paul. Mein Gelübde habe ich gebrochen.
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Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem
Beſcheide, er ſey nicht krank, könne aber nicht
kommen, und wolle auch das Geld nicht. Dieſe
Antwort betrübte das Kind ſehr, und ich ſelbſt
war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen,
wie es damit ſey. Jch ſchickte noch einmal
hin, und ließ ihm ſagen, er ſolle entweder heute
kommen, wenn er nicht krank ſey, oder er werde
Jda niemals wieder ſehen. Das half. Er kam;
aber ſein Anblick ging mir durch die Seele. Be-
ſchämt und verwirrt im höchſten Grade ſtand er
vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich
zugegen war.
Jch. Warum wollteſt du nicht kommen, Paul?
Du haſt Jda ſehr betrübt.
Paul. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu
ſehr ſchämen müßte.
Jch. Was haſt du gemacht, Paul? Du machſt
mich ganz unruhig. Sag’, was haſt du gethan?
Paul. Mein Gelübde habe ich gebrochen.
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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