Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Jda. O warte, armer Paul, warte --

Sie lief fort, leerte ihre kleine Kasse aus, lieh
von Woldemar noch einmal so viel dazu, und brach-
te es ihm. "So nimm doch das noch, und kaufe
dir Brot dafür."

Paul. Nein, Fräulein! diese Gabe hebe ich
zu Jhrem Andenken auf, und wenn ich sterbe,
können sie mich davon begraben, damit ich doch
wie andere Christen zur Ruhe komme.

Sie weinte sehr, zog ihre goldene Tuchnadel aus
dem Halstuche, sah mich fragend an, und sagte
dann: "Da, Paul, zum Andenken von Jda, die
du so sehr betrübt hast." Der Alte nahm's, streck-
te seine Hände nach dem Kinde aus, als wollt' er
es umfassen, ließ sie sinken, stammelte: "Leben
Sie wohl!" -- und machte sich zum Hause hinaus.

Jda kam schmerzlich betrübt herauf, setzte sich
in ein Eckchen und weinte sich recht satt. Wie sie
ruhiger geworden, erzählte sie die ganze klägliche
Geschichte Mathilden, die jetzt mehr Theil an dem
Alten nahm, als je zuvor.

Jda. O warte, armer Paul, warte —

Sie lief fort, leerte ihre kleine Kaſſe aus, lieh
von Woldemar noch einmal ſo viel dazu, und brach-
te es ihm. „So nimm doch das noch, und kaufe
dir Brot dafür.‟

Paul. Nein, Fräulein! dieſe Gabe hebe ich
zu Jhrem Andenken auf, und wenn ich ſterbe,
können ſie mich davon begraben, damit ich doch
wie andere Chriſten zur Ruhe komme.

Sie weinte ſehr, zog ihre goldene Tuchnadel aus
dem Halstuche, ſah mich fragend an, und ſagte
dann: „Da, Paul, zum Andenken von Jda, die
du ſo ſehr betrübt haſt.‟ Der Alte nahm’s, ſtreck-
te ſeine Hände nach dem Kinde aus, als wollt’ er
es umfaſſen, ließ ſie ſinken, ſtammelte: „Leben
Sie wohl!‟ — und machte ſich zum Hauſe hinaus.

Jda kam ſchmerzlich betrübt herauf, ſetzte ſich
in ein Eckchen und weinte ſich recht ſatt. Wie ſie
ruhiger geworden, erzählte ſie die ganze klägliche
Geſchichte Mathilden, die jetzt mehr Theil an dem
Alten nahm, als je zuvor.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0237" n="223"/>
          <p><hi rendition="#g">Jda</hi>. O warte, armer Paul, warte &#x2014;</p><lb/>
          <p>Sie lief fort, leerte ihre kleine Ka&#x017F;&#x017F;e aus, lieh<lb/>
von Woldemar noch einmal &#x017F;o viel dazu, und brach-<lb/>
te es ihm. &#x201E;So nimm doch das noch, und kaufe<lb/>
dir Brot dafür.&#x201F;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Paul</hi>. Nein, Fräulein! die&#x017F;e Gabe hebe ich<lb/>
zu Jhrem Andenken auf, und wenn ich &#x017F;terbe,<lb/>
können &#x017F;ie mich davon begraben, damit ich doch<lb/>
wie andere Chri&#x017F;ten zur Ruhe komme.</p><lb/>
          <p>Sie weinte &#x017F;ehr, zog ihre goldene Tuchnadel aus<lb/>
dem Halstuche, &#x017F;ah mich fragend an, und &#x017F;agte<lb/>
dann: &#x201E;Da, Paul, zum Andenken von Jda, die<lb/>
du &#x017F;o &#x017F;ehr betrübt ha&#x017F;t.&#x201F; Der Alte nahm&#x2019;s, &#x017F;treck-<lb/>
te &#x017F;eine Hände nach dem Kinde aus, als wollt&#x2019; er<lb/>
es umfa&#x017F;&#x017F;en, ließ &#x017F;ie &#x017F;inken, &#x017F;tammelte: &#x201E;Leben<lb/>
Sie wohl!&#x201F; &#x2014; und machte &#x017F;ich zum Hau&#x017F;e hinaus.</p><lb/>
          <p>Jda kam &#x017F;chmerzlich betrübt herauf, &#x017F;etzte &#x017F;ich<lb/>
in ein Eckchen und weinte &#x017F;ich recht &#x017F;att. Wie &#x017F;ie<lb/>
ruhiger geworden, erzählte &#x017F;ie die ganze klägliche<lb/>
Ge&#x017F;chichte Mathilden, die jetzt mehr Theil an dem<lb/>
Alten nahm, als je zuvor.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0237] Jda. O warte, armer Paul, warte — Sie lief fort, leerte ihre kleine Kaſſe aus, lieh von Woldemar noch einmal ſo viel dazu, und brach- te es ihm. „So nimm doch das noch, und kaufe dir Brot dafür.‟ Paul. Nein, Fräulein! dieſe Gabe hebe ich zu Jhrem Andenken auf, und wenn ich ſterbe, können ſie mich davon begraben, damit ich doch wie andere Chriſten zur Ruhe komme. Sie weinte ſehr, zog ihre goldene Tuchnadel aus dem Halstuche, ſah mich fragend an, und ſagte dann: „Da, Paul, zum Andenken von Jda, die du ſo ſehr betrübt haſt.‟ Der Alte nahm’s, ſtreck- te ſeine Hände nach dem Kinde aus, als wollt’ er es umfaſſen, ließ ſie ſinken, ſtammelte: „Leben Sie wohl!‟ — und machte ſich zum Hauſe hinaus. Jda kam ſchmerzlich betrübt herauf, ſetzte ſich in ein Eckchen und weinte ſich recht ſatt. Wie ſie ruhiger geworden, erzählte ſie die ganze klägliche Geſchichte Mathilden, die jetzt mehr Theil an dem Alten nahm, als je zuvor.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/237
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/237>, abgerufen am 21.11.2024.