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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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nicht sehen. -- Die Damen lachten laut. Und
was sagt denn die Kleinste? indem sich einige an
Jda wendeten. Warum hat die böse Tante ihr
Nichtchen nicht schon eher ins Konzert gebracht?
Jda maß die Dame, die das Böse aussprach, mit
großen Augen von oben bis unten. Dann trat
sie an mich: beste Tante, was die Dame da sagt,
verstehe ich gar nicht. -- Die Dame weiß wohl
nicht, wie lieb du mich hast. -- Die Worte des
Kindes machten sie betroffen.

Es war nicht böse gemeynt, sagte sie. Nun
trat jene Frau von Z ... herzu, die Jda vor sie-
ben Jahren so sehr bedauerte, daß sie keinen
Wein und keine Leckereien bekäme, und seitdem
häufig gestichelt hatte, über die seltsame Art Kin-
der mitten in einer Stadt zu Einsiedlern zu er-
ziehen: sie beobachtete Jda scharf. Jda bemerkte
es, schlug ihr liebes Auge verschämt nieder, und
fragte mich leise: warum sieht die Dame mich
so bös an? Jch sagte halb laut: Die Damen
meynen es alle nicht böse mit uns, sie wollen nur
sehen, ob ihr recht verständige Kinder seyd? Ein

nicht ſehen. — Die Damen lachten laut. Und
was ſagt denn die Kleinſte? indem ſich einige an
Jda wendeten. Warum hat die böſe Tante ihr
Nichtchen nicht ſchon eher ins Konzert gebracht?
Jda maß die Dame, die das Böſe ausſprach, mit
großen Augen von oben bis unten. Dann trat
ſie an mich: beſte Tante, was die Dame da ſagt,
verſtehe ich gar nicht. — Die Dame weiß wohl
nicht, wie lieb du mich haſt. — Die Worte des
Kindes machten ſie betroffen.

Es war nicht böſe gemeynt, ſagte ſie. Nun
trat jene Frau von Z … herzu, die Jda vor ſie-
ben Jahren ſo ſehr bedauerte, daß ſie keinen
Wein und keine Leckereien bekäme, und ſeitdem
häufig geſtichelt hatte, über die ſeltſame Art Kin-
der mitten in einer Stadt zu Einſiedlern zu er-
ziehen: ſie beobachtete Jda ſcharf. Jda bemerkte
es, ſchlug ihr liebes Auge verſchämt nieder, und
fragte mich leiſe: warum ſieht die Dame mich
ſo bös an? Jch ſagte halb laut: Die Damen
meynen es alle nicht böſe mit uns, ſie wollen nur
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[277/0291] nicht ſehen. — Die Damen lachten laut. Und was ſagt denn die Kleinſte? indem ſich einige an Jda wendeten. Warum hat die böſe Tante ihr Nichtchen nicht ſchon eher ins Konzert gebracht? Jda maß die Dame, die das Böſe ausſprach, mit großen Augen von oben bis unten. Dann trat ſie an mich: beſte Tante, was die Dame da ſagt, verſtehe ich gar nicht. — Die Dame weiß wohl nicht, wie lieb du mich haſt. — Die Worte des Kindes machten ſie betroffen. Es war nicht böſe gemeynt, ſagte ſie. Nun trat jene Frau von Z … herzu, die Jda vor ſie- ben Jahren ſo ſehr bedauerte, daß ſie keinen Wein und keine Leckereien bekäme, und ſeitdem häufig geſtichelt hatte, über die ſeltſame Art Kin- der mitten in einer Stadt zu Einſiedlern zu er- ziehen: ſie beobachtete Jda ſcharf. Jda bemerkte es, ſchlug ihr liebes Auge verſchämt nieder, und fragte mich leiſe: warum ſieht die Dame mich ſo bös an? Jch ſagte halb laut: Die Damen meynen es alle nicht böſe mit uns, ſie wollen nur ſehen, ob ihr recht verſtändige Kinder ſeyd? Ein

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/291>, abgerufen am 02.06.2024.