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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Jch. Weil für den Gehalt des Grußes dabei
doch nicht viel gewonnen ist. Oder wir müßten
fast jeden Monat die Formel ändern.

Clärchen. Aber gibt es denn gar kein Mit-
tel, wie man zugleich höflich und aufrichtig seyn
könne? Aufrichtig soll man doch ganz gewiß
seyn, und höflich will man auch gern seyn.

Jch. Doch, mein liebes Clärchen. Es gibt
ein recht sicheres Mittel.

Jda. O beste Tante, sage es uns. Dies
müssen wir ja kennen.

Jch. Es liegt dies Mittel in jedem liebevol-
len Herzen. Ein solches Herz wird nie gegen die
Wahrheit sündigen, indem es Andern in Form
der Höflichkeit Gutes wünscht. Und wenn es im
Augenblicke, wo es die gewohnten Worte ausspricht,
seiner Gesinnung des Wohlwollens für den an-
dern sich auch nicht bewußt wird, so ist sie doch im
Ganzen da, und es hegt im Jnnern kein Gefühl,
das ihm widerspräche. Auch ist es in den gebil-
detern Ständen gar nicht einmal nöthig, daß

Jch. Weil für den Gehalt des Grußes dabei
doch nicht viel gewonnen iſt. Oder wir müßten
faſt jeden Monat die Formel ändern.

Clärchen. Aber gibt es denn gar kein Mit-
tel, wie man zugleich höflich und aufrichtig ſeyn
könne? Aufrichtig ſoll man doch ganz gewiß
ſeyn, und höflich will man auch gern ſeyn.

Jch. Doch, mein liebes Clärchen. Es gibt
ein recht ſicheres Mittel.

Jda. O beſte Tante, ſage es uns. Dies
müſſen wir ja kennen.

Jch. Es liegt dies Mittel in jedem liebevol-
len Herzen. Ein ſolches Herz wird nie gegen die
Wahrheit ſündigen, indem es Andern in Form
der Höflichkeit Gutes wünſcht. Und wenn es im
Augenblicke, wo es die gewohnten Worte ausſpricht,
ſeiner Geſinnung des Wohlwollens für den an-
dern ſich auch nicht bewußt wird, ſo iſt ſie doch im
Ganzen da, und es hegt im Jnnern kein Gefühl,
das ihm widerſpräche. Auch iſt es in den gebil-
detern Ständen gar nicht einmal nöthig, daß

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[314/0328] Jch. Weil für den Gehalt des Grußes dabei doch nicht viel gewonnen iſt. Oder wir müßten faſt jeden Monat die Formel ändern. Clärchen. Aber gibt es denn gar kein Mit- tel, wie man zugleich höflich und aufrichtig ſeyn könne? Aufrichtig ſoll man doch ganz gewiß ſeyn, und höflich will man auch gern ſeyn. Jch. Doch, mein liebes Clärchen. Es gibt ein recht ſicheres Mittel. Jda. O beſte Tante, ſage es uns. Dies müſſen wir ja kennen. Jch. Es liegt dies Mittel in jedem liebevol- len Herzen. Ein ſolches Herz wird nie gegen die Wahrheit ſündigen, indem es Andern in Form der Höflichkeit Gutes wünſcht. Und wenn es im Augenblicke, wo es die gewohnten Worte ausſpricht, ſeiner Geſinnung des Wohlwollens für den an- dern ſich auch nicht bewußt wird, ſo iſt ſie doch im Ganzen da, und es hegt im Jnnern kein Gefühl, das ihm widerſpräche. Auch iſt es in den gebil- detern Ständen gar nicht einmal nöthig, daß

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/328>, abgerufen am 24.11.2024.