nicht unsere geliebte Freundinnen, sondern nur gute Bekanntinnen sind. Wie wäre auch ein Le- ben unter lauter auserwählten Herzensfreunden und Freundinnen nur möglich. Die meisten Menschen, mit denen man lebt, bleiben ja nur gute Bekannte, Nachbarn u. s. w.
Clärchen. Aber liebe Tante, da du einmal doch von Bekanntinnen und Freundinnen ge- sprochen, erkläre uns, was zur Freundschaft gehört, und wo eigentlich der Unterschied zwischen Freun- den und guten Bekannten liegt? Jch habe dar- über schon bisweilen für mich nachgesonnen, konnt' aber nicht ganz damit fertig werden.
Jch. Jm höchsten Sinne des Wortes gehört zur Freundschaft sehr viel. Und wenn du mich fragtest: ob ich in diesem vollkommensten Sinn des Wortes hier in der Stadt eine Freundin ha- be? so müßte ich nein sagen.
Jda. Aber Tante hat ja doch die gute Frau von R. lieb, die im Konzert so freundlich mit uns sprach, und uns zu Gefallen mit hinaus
nicht unſere geliebte Freundinnen, ſondern nur gute Bekanntinnen ſind. Wie wäre auch ein Le- ben unter lauter auserwählten Herzensfreunden und Freundinnen nur möglich. Die meiſten Menſchen, mit denen man lebt, bleiben ja nur gute Bekannte, Nachbarn u. ſ. w.
Clärchen. Aber liebe Tante, da du einmal doch von Bekanntinnen und Freundinnen ge- ſprochen, erkläre uns, was zur Freundſchaft gehört, und wo eigentlich der Unterſchied zwiſchen Freun- den und guten Bekannten liegt? Jch habe dar- über ſchon bisweilen für mich nachgeſonnen, konnt’ aber nicht ganz damit fertig werden.
Jch. Jm höchſten Sinne des Wortes gehört zur Freundſchaft ſehr viel. Und wenn du mich fragteſt: ob ich in dieſem vollkommenſten Sinn des Wortes hier in der Stadt eine Freundin ha- be? ſo müßte ich nein ſagen.
Jda. Aber Tante hat ja doch die gute Frau von R. lieb, die im Konzert ſo freundlich mit uns ſprach, und uns zu Gefallen mit hinaus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0330"n="316"/>
nicht unſere geliebte Freundinnen, ſondern nur<lb/>
gute Bekanntinnen ſind. Wie wäre auch ein Le-<lb/>
ben unter lauter auserwählten Herzensfreunden<lb/>
und Freundinnen nur möglich. Die meiſten<lb/>
Menſchen, mit denen man lebt, bleiben ja nur<lb/>
gute Bekannte, Nachbarn u. ſ. w.</p><lb/><p><hirendition="#g">Clärchen</hi>. Aber liebe Tante, da du einmal<lb/>
doch von Bekanntinnen und Freundinnen ge-<lb/>ſprochen, erkläre uns, was zur Freundſchaft gehört,<lb/>
und wo eigentlich der Unterſchied zwiſchen Freun-<lb/>
den und guten Bekannten liegt? Jch habe dar-<lb/>
über ſchon bisweilen für mich nachgeſonnen,<lb/>
konnt’ aber nicht ganz damit fertig werden.</p><lb/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. Jm höchſten Sinne des Wortes gehört<lb/>
zur Freundſchaft ſehr viel. Und wenn du mich<lb/>
fragteſt: ob ich in dieſem vollkommenſten Sinn<lb/>
des Wortes hier in der Stadt eine Freundin ha-<lb/>
be? ſo müßte ich nein ſagen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Jda</hi>. Aber Tante hat ja doch die gute Frau<lb/>
von R. lieb, die im Konzert ſo freundlich mit<lb/>
uns ſprach, und uns zu Gefallen mit hinaus<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[316/0330]
nicht unſere geliebte Freundinnen, ſondern nur
gute Bekanntinnen ſind. Wie wäre auch ein Le-
ben unter lauter auserwählten Herzensfreunden
und Freundinnen nur möglich. Die meiſten
Menſchen, mit denen man lebt, bleiben ja nur
gute Bekannte, Nachbarn u. ſ. w.
Clärchen. Aber liebe Tante, da du einmal
doch von Bekanntinnen und Freundinnen ge-
ſprochen, erkläre uns, was zur Freundſchaft gehört,
und wo eigentlich der Unterſchied zwiſchen Freun-
den und guten Bekannten liegt? Jch habe dar-
über ſchon bisweilen für mich nachgeſonnen,
konnt’ aber nicht ganz damit fertig werden.
Jch. Jm höchſten Sinne des Wortes gehört
zur Freundſchaft ſehr viel. Und wenn du mich
fragteſt: ob ich in dieſem vollkommenſten Sinn
des Wortes hier in der Stadt eine Freundin ha-
be? ſo müßte ich nein ſagen.
Jda. Aber Tante hat ja doch die gute Frau
von R. lieb, die im Konzert ſo freundlich mit
uns ſprach, und uns zu Gefallen mit hinaus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/330>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.