lieben, werth- oder nicht werthschätzen, eine große Uebereinstimmung haben, und daß sie fest an ein- ander glauben, d. h. einer den andern mit höch- ster Gewißheit für brav, gut und selbst für edel halte, so daß er für ihn stehen kann, wie für sich selbst. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer Geistesgaben nicht gar zu verschieden sey. Völlig gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen nicht seyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund- schaft. Trifft dies alles, was ich sagte, bei zwei Menschen zusammen, und kommen sie sich persön- lich nahe, so ahnen sie oft im ersten Augenblick ihre Geistes- und Gemüths-Verwandtschaft, und schauen einander in die innerste Tiefe der Seele. Alsdann suchen und wünschen sie sich beständig nahe zu seyn, können sich schwer entbehren, und lassen nimmer wieder ganz von einander, auch wenn sie sich einmal nicht verstanden haben sollten. Und sind es Männer, so vertheidigen oder erretten sie einander mit Blut und Leben, wo es Noth thut. Hierüber will ich euch in der nächsten poe- tischen Stunde eine Geschichte erzählen von ein Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,
lieben, werth- oder nicht werthſchätzen, eine große Uebereinſtimmung haben, und daß ſie feſt an ein- ander glauben, d. h. einer den andern mit höch- ſter Gewißheit für brav, gut und ſelbſt für edel halte, ſo daß er für ihn ſtehen kann, wie für ſich ſelbſt. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer Geiſtesgaben nicht gar zu verſchieden ſey. Völlig gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen nicht ſeyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund- ſchaft. Trifft dies alles, was ich ſagte, bei zwei Menſchen zuſammen, und kommen ſie ſich perſön- lich nahe, ſo ahnen ſie oft im erſten Augenblick ihre Geiſtes- und Gemüths-Verwandtſchaft, und ſchauen einander in die innerſte Tiefe der Seele. Alsdann ſuchen und wünſchen ſie ſich beſtändig nahe zu ſeyn, können ſich ſchwer entbehren, und laſſen nimmer wieder ganz von einander, auch wenn ſie ſich einmal nicht verſtanden haben ſollten. Und ſind es Männer, ſo vertheidigen oder erretten ſie einander mit Blut und Leben, wo es Noth thut. Hierüber will ich euch in der nächſten poe- tiſchen Stunde eine Geſchichte erzählen von ein Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0332"n="318"/>
lieben, werth- oder nicht werthſchätzen, eine große<lb/>
Uebereinſtimmung haben, und daß ſie feſt an ein-<lb/>
ander glauben, d. h. einer den andern mit höch-<lb/>ſter Gewißheit für brav, gut und ſelbſt für edel<lb/>
halte, ſo daß er für ihn ſtehen kann, wie für ſich<lb/>ſelbſt. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer<lb/>
Geiſtesgaben nicht gar zu verſchieden ſey. Völlig<lb/>
gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen<lb/>
nicht ſeyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund-<lb/>ſchaft. Trifft dies alles, was ich ſagte, bei zwei<lb/>
Menſchen zuſammen, und kommen ſie ſich perſön-<lb/>
lich nahe, ſo ahnen ſie oft im erſten Augenblick<lb/>
ihre Geiſtes- und Gemüths-Verwandtſchaft, und<lb/>ſchauen einander in die innerſte Tiefe der Seele.<lb/>
Alsdann ſuchen und wünſchen ſie ſich beſtändig<lb/>
nahe zu ſeyn, können ſich ſchwer entbehren, und<lb/>
laſſen nimmer wieder ganz von einander, auch<lb/>
wenn ſie ſich einmal nicht verſtanden haben ſollten.<lb/>
Und ſind es Männer, ſo vertheidigen oder erretten<lb/>ſie einander mit Blut und Leben, wo es Noth<lb/>
thut. Hierüber will ich euch in der nächſten poe-<lb/>
tiſchen Stunde eine Geſchichte erzählen von ein<lb/>
Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[318/0332]
lieben, werth- oder nicht werthſchätzen, eine große
Uebereinſtimmung haben, und daß ſie feſt an ein-
ander glauben, d. h. einer den andern mit höch-
ſter Gewißheit für brav, gut und ſelbſt für edel
halte, ſo daß er für ihn ſtehen kann, wie für ſich
ſelbſt. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer
Geiſtesgaben nicht gar zu verſchieden ſey. Völlig
gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen
nicht ſeyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund-
ſchaft. Trifft dies alles, was ich ſagte, bei zwei
Menſchen zuſammen, und kommen ſie ſich perſön-
lich nahe, ſo ahnen ſie oft im erſten Augenblick
ihre Geiſtes- und Gemüths-Verwandtſchaft, und
ſchauen einander in die innerſte Tiefe der Seele.
Alsdann ſuchen und wünſchen ſie ſich beſtändig
nahe zu ſeyn, können ſich ſchwer entbehren, und
laſſen nimmer wieder ganz von einander, auch
wenn ſie ſich einmal nicht verſtanden haben ſollten.
Und ſind es Männer, ſo vertheidigen oder erretten
ſie einander mit Blut und Leben, wo es Noth
thut. Hierüber will ich euch in der nächſten poe-
tiſchen Stunde eine Geſchichte erzählen von ein
Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/332>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.