Weibe da noch dulden? -- Eine Zeitlang will ich es noch versuchen, was mit diesem sonderbaren Geschöpfe auszurichten stehet. An mich wagt sie sich mit ihren Einfällen nicht: desto öfter aber lauert sie Mathilden auf. Auch an Clärchenn reibt sich ihr Muthwille nicht selten. Vor Jda hat sie eine Art frommer Scheu; aber Jda beträgt sich auch untadelhaft gegen Hertha, und duldet ihre Unarten mit einer höchst liebenswürdigen Sanftmuth. Mit dem Gesinde hat Hertha täg- lich Händel; denn sie kann es gar nicht fassen, daß auch die dienenden Menschen ein Gefühl ha- ben, welches geschont seyn will, und meynt, daß sie durchaus geschaffen sind, unsern Launen zu willfahren. Der Magd eine Ohrfeige geben, und diese mit einem Dukaten wieder gut machen, meynte sie neulich, das sey doch wohl nichts schlim- mes, und die Magd könne sich immer freuen, auf eine so leichte und geschwinde Art zu so einem Goldstück gekommen zu seyn. Ueber dieser Be- hauptung kam ich hinzu, als ich nach Tisch im Garten gewesen war. Liesel war nämlich beim Ab- räumen des Tisches unvorsichtig, und stieß ein
Weibe da noch dulden? — Eine Zeitlang will ich es noch verſuchen, was mit dieſem ſonderbaren Geſchöpfe auszurichten ſtehet. An mich wagt ſie ſich mit ihren Einfällen nicht: deſto öfter aber lauert ſie Mathilden auf. Auch an Clärchẽn reibt ſich ihr Muthwille nicht ſelten. Vor Jda hat ſie eine Art frommer Scheu; aber Jda beträgt ſich auch untadelhaft gegen Hertha, und duldet ihre Unarten mit einer höchſt liebenswürdigen Sanftmuth. Mit dem Geſinde hat Hertha täg- lich Händel; denn ſie kann es gar nicht faſſen, daß auch die dienenden Menſchen ein Gefühl ha- ben, welches geſchont ſeyn will, und meynt, daß ſie durchaus geſchaffen ſind, unſern Launen zu willfahren. Der Magd eine Ohrfeige geben, und dieſe mit einem Dukaten wieder gut machen, meynte ſie neulich, das ſey doch wohl nichts ſchlim- mes, und die Magd könne ſich immer freuen, auf eine ſo leichte und geſchwinde Art zu ſo einem Goldſtück gekommen zu ſeyn. Ueber dieſer Be- hauptung kam ich hinzu, als ich nach Tiſch im Garten geweſen war. Lieſel war nämlich beim Ab- räumen des Tiſches unvorſichtig, und ſtieß ein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0103"n="95"/>
Weibe da noch dulden? — Eine Zeitlang will ich<lb/>
es noch verſuchen, was mit dieſem ſonderbaren<lb/>
Geſchöpfe auszurichten ſtehet. An mich wagt ſie<lb/>ſich mit ihren Einfällen nicht: deſto öfter aber<lb/>
lauert ſie Mathilden auf. Auch an Clärchẽn reibt<lb/>ſich ihr Muthwille nicht ſelten. Vor Jda hat<lb/>ſie eine Art frommer Scheu; aber Jda beträgt<lb/>ſich auch untadelhaft gegen Hertha, und duldet<lb/>
ihre Unarten mit einer höchſt liebenswürdigen<lb/>
Sanftmuth. Mit dem Geſinde hat Hertha täg-<lb/>
lich Händel; denn ſie kann es gar nicht faſſen,<lb/>
daß auch die dienenden Menſchen ein Gefühl ha-<lb/>
ben, welches geſchont ſeyn will, und meynt, daß<lb/>ſie durchaus geſchaffen ſind, unſern Launen zu<lb/>
willfahren. Der Magd eine Ohrfeige geben, und<lb/>
dieſe mit einem Dukaten wieder gut machen,<lb/>
meynte ſie neulich, das ſey doch wohl nichts ſchlim-<lb/>
mes, und die Magd könne ſich immer freuen,<lb/>
auf eine ſo leichte und geſchwinde Art zu ſo einem<lb/>
Goldſtück gekommen zu ſeyn. Ueber dieſer Be-<lb/>
hauptung kam ich hinzu, als ich nach Tiſch im<lb/>
Garten geweſen war. Lieſel war nämlich beim Ab-<lb/>
räumen des Tiſches unvorſichtig, und ſtieß ein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[95/0103]
Weibe da noch dulden? — Eine Zeitlang will ich
es noch verſuchen, was mit dieſem ſonderbaren
Geſchöpfe auszurichten ſtehet. An mich wagt ſie
ſich mit ihren Einfällen nicht: deſto öfter aber
lauert ſie Mathilden auf. Auch an Clärchẽn reibt
ſich ihr Muthwille nicht ſelten. Vor Jda hat
ſie eine Art frommer Scheu; aber Jda beträgt
ſich auch untadelhaft gegen Hertha, und duldet
ihre Unarten mit einer höchſt liebenswürdigen
Sanftmuth. Mit dem Geſinde hat Hertha täg-
lich Händel; denn ſie kann es gar nicht faſſen,
daß auch die dienenden Menſchen ein Gefühl ha-
ben, welches geſchont ſeyn will, und meynt, daß
ſie durchaus geſchaffen ſind, unſern Launen zu
willfahren. Der Magd eine Ohrfeige geben, und
dieſe mit einem Dukaten wieder gut machen,
meynte ſie neulich, das ſey doch wohl nichts ſchlim-
mes, und die Magd könne ſich immer freuen,
auf eine ſo leichte und geſchwinde Art zu ſo einem
Goldſtück gekommen zu ſeyn. Ueber dieſer Be-
hauptung kam ich hinzu, als ich nach Tiſch im
Garten geweſen war. Lieſel war nämlich beim Ab-
räumen des Tiſches unvorſichtig, und ſtieß ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/103>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.