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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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gesunde Natur plötzlich in ihr Gegentheil verwan-
delte, so müßte der Anblick uns fürchterlich ergrei-
fen -- ohngefähr so als wenn wir aus dem läng-
sten Sommertage, der mit tausend tausend Herr-
lichkeiten geschmückt uns anlachte, mit einemmal
in einen naßkalten stürmenden Dezembertag ver-
setzt würden, dessen 7 armselige Stunden uns vom
düstern Himmel noch um 2 verkürzt würden. Ge-
duldig und fast ohne es gewahr zu werden, gehen
oder schleichen wir aus einem Außersten ins andere,
wenn wir stufenweise hineingeführt werden. Es
ist erstaunlich, welche Gewöhnbarkeit in der mora-
lischen wie in der physischen Menschennatur liegt,
und was allmählige Gewöhnung über uns vermag.
So, meine Freundin, wurden Sie der ungünstigen
Veränderung ihrer Kinder nicht gewahr, weil sie
so allmählig kam, und durch das, was sie nach und
nach wurden, das Bild von dem was sie waren,
beinahe gänzlich in Jhnen ausgelöscht ist. Jch,
die ich sie seit 7 Jahren nicht sah, und jenes Bild
noch rein in mir trage, sehe den unholden Kontrast
mit Schmerz; denn er ist groß. Jhre Kinder ge-
hörten zu den lieblichsten die ich je sah. Was

geſunde Natur plötzlich in ihr Gegentheil verwan-
delte, ſo müßte der Anblick uns fürchterlich ergrei-
fen — ohngefähr ſo als wenn wir aus dem läng-
ſten Sommertage, der mit tauſend tauſend Herr-
lichkeiten geſchmückt uns anlachte, mit einemmal
in einen naßkalten ſtürmenden Dezembertag ver-
ſetzt würden, deſſen 7 armſelige Stunden uns vom
düſtern Himmel noch um 2 verkürzt würden. Ge-
duldig und faſt ohne es gewahr zu werden, gehen
oder ſchleichen wir aus einem Außerſten ins andere,
wenn wir ſtufenweiſe hineingeführt werden. Es
iſt erſtaunlich, welche Gewöhnbarkeit in der mora-
liſchen wie in der phyſiſchen Menſchennatur liegt,
und was allmählige Gewöhnung über uns vermag.
So, meine Freundin, wurden Sie der ungünſtigen
Veränderung ihrer Kinder nicht gewahr, weil ſie
ſo allmählig kam, und durch das, was ſie nach und
nach wurden, das Bild von dem was ſie waren,
beinahe gänzlich in Jhnen ausgelöſcht iſt. Jch,
die ich ſie ſeit 7 Jahren nicht ſah, und jenes Bild
noch rein in mir trage, ſehe den unholden Kontraſt
mit Schmerz; denn er iſt groß. Jhre Kinder ge-
hörten zu den lieblichſten die ich je ſah. Was

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[141/0149] geſunde Natur plötzlich in ihr Gegentheil verwan- delte, ſo müßte der Anblick uns fürchterlich ergrei- fen — ohngefähr ſo als wenn wir aus dem läng- ſten Sommertage, der mit tauſend tauſend Herr- lichkeiten geſchmückt uns anlachte, mit einemmal in einen naßkalten ſtürmenden Dezembertag ver- ſetzt würden, deſſen 7 armſelige Stunden uns vom düſtern Himmel noch um 2 verkürzt würden. Ge- duldig und faſt ohne es gewahr zu werden, gehen oder ſchleichen wir aus einem Außerſten ins andere, wenn wir ſtufenweiſe hineingeführt werden. Es iſt erſtaunlich, welche Gewöhnbarkeit in der mora- liſchen wie in der phyſiſchen Menſchennatur liegt, und was allmählige Gewöhnung über uns vermag. So, meine Freundin, wurden Sie der ungünſtigen Veränderung ihrer Kinder nicht gewahr, weil ſie ſo allmählig kam, und durch das, was ſie nach und nach wurden, das Bild von dem was ſie waren, beinahe gänzlich in Jhnen ausgelöſcht iſt. Jch, die ich ſie ſeit 7 Jahren nicht ſah, und jenes Bild noch rein in mir trage, ſehe den unholden Kontraſt mit Schmerz; denn er iſt groß. Jhre Kinder ge- hörten zu den lieblichſten die ich je ſah. Was

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/149>, abgerufen am 24.11.2024.