andern Geist gedichtet. Du weißt, welche Dichter wir am meisten lasen und auswendig lernten. Ein solches Flämmchen aber, welches die Natur unmit- telbar entzündet, nicht belebend anhauchen wollen, würde mir unrecht scheinen. Und es auszulöschen wäre ohnedem ganz vergebliches Beginnen. Jch konnte ja nichts als dieser lieblichen Phantasie freundliche Bilder zuführen, und dieses tiefe Ge- fühl mit warmer Liebe nähren und pflegen. So ist nun geworden, was Du siehest. Und das so gewordene stehet keiner weiblichen Tugend hindernd entgegen, wie die angebildete Künstlerin nothwen- dig thun muß. Das Bewußtseyn der Naturgabe erhält das Gemüth des Weibes in schöner Demuth, eben weil es eine Gabe ist. Das an sich gerissene, mit Anstrengung und Studium sich angeeignete macht stolz und übermüthig, wenigstens im Weibe. Und die Leidenschaft, das Errungene zu erhalten und zu vermehren, nimmt Besitz vom ganzen Ge- müth, und macht leicht Ekel an den tausend klei- nen Dingen, die mit einander die schöne Häuslich- keit ausmachen. Sie können fortan das Gemüth nicht mehr heiter beschäftigen: und werden sie auch
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andern Geiſt gedichtet. Du weißt, welche Dichter wir am meiſten laſen und auswendig lernten. Ein ſolches Flämmchen aber, welches die Natur unmit- telbar entzündet, nicht belebend anhauchen wollen, würde mir unrecht ſcheinen. Und es auszulöſchen wäre ohnedem ganz vergebliches Beginnen. Jch konnte ja nichts als dieſer lieblichen Phantaſie freundliche Bilder zuführen, und dieſes tiefe Ge- fühl mit warmer Liebe nähren und pflegen. So iſt nun geworden, was Du ſieheſt. Und das ſo gewordene ſtehet keiner weiblichen Tugend hindernd entgegen, wie die angebildete Künſtlerin nothwen- dig thun muß. Das Bewußtſeyn der Naturgabe erhält das Gemüth des Weibes in ſchöner Demuth, eben weil es eine Gabe iſt. Das an ſich geriſſene, mit Anſtrengung und Studium ſich angeeignete macht ſtolz und übermüthig, wenigſtens im Weibe. Und die Leidenſchaft, das Errungene zu erhalten und zu vermehren, nimmt Beſitz vom ganzen Ge- müth, und macht leicht Ekel an den tauſend klei- nen Dingen, die mit einander die ſchöne Häuslich- keit ausmachen. Sie können fortan das Gemüth nicht mehr heiter beſchäftigen: und werden ſie auch
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andern Geiſt gedichtet. Du weißt, welche Dichter
wir am meiſten laſen und auswendig lernten. Ein
ſolches Flämmchen aber, welches die Natur unmit-
telbar entzündet, nicht belebend anhauchen wollen,
würde mir unrecht ſcheinen. Und es auszulöſchen
wäre ohnedem ganz vergebliches Beginnen. Jch
konnte ja nichts als dieſer lieblichen Phantaſie
freundliche Bilder zuführen, und dieſes tiefe Ge-
fühl mit warmer Liebe nähren und pflegen. So
iſt nun geworden, was Du ſieheſt. Und das ſo
gewordene ſtehet keiner weiblichen Tugend hindernd
entgegen, wie die angebildete Künſtlerin nothwen-
dig thun muß. Das Bewußtſeyn der Naturgabe
erhält das Gemüth des Weibes in ſchöner Demuth,
eben weil es eine Gabe iſt. Das an ſich geriſſene,
mit Anſtrengung und Studium ſich angeeignete
macht ſtolz und übermüthig, wenigſtens im Weibe.
Und die Leidenſchaft, das Errungene zu erhalten
und zu vermehren, nimmt Beſitz vom ganzen Ge-
müth, und macht leicht Ekel an den tauſend klei-
nen Dingen, die mit einander die ſchöne Häuslich-
keit ausmachen. Sie können fortan das Gemüth
nicht mehr heiter beſchäftigen: und werden ſie auch
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/185>, abgerufen am 21.11.2024.
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