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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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mich diese Nachricht ergriff. Das holde Kind ist
eben 2 Jahre alt, läuft und spricht und ist sehr le-
bendig, aber äußerst zart.

Sein Vater reis'te vor 3 Monaten nach Amerika.
Ob die Mutter hat Verordnungen machen können,
weiß ich nicht: sie ist sehr plötzlich gestorben, das
Kind war in den Händen der Mägde. Wie ein Blitz
durchschoß mich der Gedanke: dies Kind sollst du
zu dir nehmen, unsere jungen Mädchen sollen an
ihm den wichtigsten Theil des weiblichen Berufs
lernen. Jda, sagte ich, es ist mir etwas in den
Sinn gekommen, das ich mit Dir theilen muß --
o liebste Tante, ich verstehe Dich, Du willst des
Kindes Mutter seyn: nicht wahr, ich hab es er-
rathen? Ja, Herzenstochter, Du hast es getrof-
fen. Da aber das Kind nicht bloß mit mir und
Dir sondern mit euch allen leben soll, so muß ich
erst aller Einwilligung dazu haben. O Du kannst
uns allen sicherlich keine größere Freude machen.
Soll ich die andern zu Dir rufen? Ja, Jda, rufe
sie alle auf mein Zimmer, auch Bruno, sage ihnen
aber nichts. Jch fand sie alle versammelt, als ich



mich dieſe Nachricht ergriff. Das holde Kind iſt
eben 2 Jahre alt, läuft und ſpricht und iſt ſehr le-
bendig, aber äußerſt zart.

Sein Vater reiſ’te vor 3 Monaten nach Amerika.
Ob die Mutter hat Verordnungen machen können,
weiß ich nicht: ſie iſt ſehr plötzlich geſtorben, das
Kind war in den Händen der Mägde. Wie ein Blitz
durchſchoß mich der Gedanke: dies Kind ſollſt du
zu dir nehmen, unſere jungen Mädchen ſollen an
ihm den wichtigſten Theil des weiblichen Berufs
lernen. Jda, ſagte ich, es iſt mir etwas in den
Sinn gekommen, das ich mit Dir theilen muß —
o liebſte Tante, ich verſtehe Dich, Du willſt des
Kindes Mutter ſeyn: nicht wahr, ich hab es er-
rathen? Ja, Herzenstochter, Du haſt es getrof-
fen. Da aber das Kind nicht bloß mit mir und
Dir ſondern mit euch allen leben ſoll, ſo muß ich
erſt aller Einwilligung dazu haben. O Du kannſt
uns allen ſicherlich keine größere Freude machen.
Soll ich die andern zu Dir rufen? Ja, Jda, rufe
ſie alle auf mein Zimmer, auch Bruno, ſage ihnen
aber nichts. Jch fand ſie alle verſammelt, als ich

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[198/0206] mich dieſe Nachricht ergriff. Das holde Kind iſt eben 2 Jahre alt, läuft und ſpricht und iſt ſehr le- bendig, aber äußerſt zart. Sein Vater reiſ’te vor 3 Monaten nach Amerika. Ob die Mutter hat Verordnungen machen können, weiß ich nicht: ſie iſt ſehr plötzlich geſtorben, das Kind war in den Händen der Mägde. Wie ein Blitz durchſchoß mich der Gedanke: dies Kind ſollſt du zu dir nehmen, unſere jungen Mädchen ſollen an ihm den wichtigſten Theil des weiblichen Berufs lernen. Jda, ſagte ich, es iſt mir etwas in den Sinn gekommen, das ich mit Dir theilen muß — o liebſte Tante, ich verſtehe Dich, Du willſt des Kindes Mutter ſeyn: nicht wahr, ich hab es er- rathen? Ja, Herzenstochter, Du haſt es getrof- fen. Da aber das Kind nicht bloß mit mir und Dir ſondern mit euch allen leben ſoll, ſo muß ich erſt aller Einwilligung dazu haben. O Du kannſt uns allen ſicherlich keine größere Freude machen. Soll ich die andern zu Dir rufen? Ja, Jda, rufe ſie alle auf mein Zimmer, auch Bruno, ſage ihnen aber nichts. Jch fand ſie alle verſammelt, als ich

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/206>, abgerufen am 21.11.2024.