Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.frau, die keinem Spiegel traut, und sich zu fürch- ten scheint, er möchte sie mit einem zu schmei- chelnden Scheinbilde belügen -- die der entzückte Bruno noch nie mit einem einzigen Wörtchen zu loben gewagt, diese zarte Knospe, von der selbst der Verderber den Muth nicht haben könnte, den Himmelsthau abzustreifen? Und die stille Demuth, die ihren Werth so ganz nicht ahnet, -- o selige Mutter! und dreimal seliger Mann, der sie einst an sein Herz drückt! Jedes andere als Du, meine Emma, müßte mich der Schwär- merei zeihen -- aber das Mutterherz, wie die Liebe, glaubet alles, und hoffet alles: und seine Hoffnung soll nimmer zu Schanden werden. Lebe wohl! Neun und sechszigster Brief. Seraphine ist fast ganz genesen. Wir alle las- frau, die keinem Spiegel traut, und ſich zu fürch- ten ſcheint, er möchte ſie mit einem zu ſchmei- chelnden Scheinbilde belügen — die der entzückte Bruno noch nie mit einem einzigen Wörtchen zu loben gewagt, dieſe zarte Knospe, von der ſelbſt der Verderber den Muth nicht haben könnte, den Himmelsthau abzuſtreifen? Und die ſtille Demuth, die ihren Werth ſo ganz nicht ahnet, — o ſelige Mutter! und dreimal ſeliger Mann, der ſie einſt an ſein Herz drückt! Jedes andere als Du, meine Emma, müßte mich der Schwär- merei zeihen — aber das Mutterherz, wie die Liebe, glaubet alles, und hoffet alles: und ſeine Hoffnung ſoll nimmer zu Schanden werden. Lebe wohl! Neun und ſechszigſter Brief. Seraphine iſt faſt ganz geneſen. Wir alle laſ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0242" n="234"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> frau, die keinem Spiegel traut, und ſich zu fürch-<lb/> ten ſcheint, er möchte ſie mit einem zu ſchmei-<lb/> chelnden Scheinbilde belügen — die der entzückte<lb/> Bruno noch nie mit einem einzigen Wörtchen zu<lb/> loben gewagt, dieſe zarte Knospe, von der ſelbſt<lb/> der Verderber den Muth nicht haben könnte,<lb/> den Himmelsthau abzuſtreifen? Und die ſtille<lb/> Demuth, die ihren Werth ſo ganz nicht ahnet,<lb/> — o ſelige Mutter! und dreimal ſeliger Mann,<lb/> der ſie einſt an ſein Herz drückt! Jedes andere<lb/> als Du, meine Emma, müßte mich der Schwär-<lb/> merei zeihen — aber das Mutterherz, wie die<lb/> Liebe, glaubet alles, und hoffet alles: und ſeine<lb/> Hoffnung ſoll nimmer zu Schanden werden. Lebe<lb/> wohl!</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Neun und ſechszigſter Brief</hi>.</head><lb/> <p>Seraphine iſt faſt ganz geneſen. Wir alle laſ-<lb/> ſen es uns angelegen ſeyn, die kleinen Fältchen<lb/> wieder auszuglätten, die ſie von ihrem Krankſeyn<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0242]
frau, die keinem Spiegel traut, und ſich zu fürch-
ten ſcheint, er möchte ſie mit einem zu ſchmei-
chelnden Scheinbilde belügen — die der entzückte
Bruno noch nie mit einem einzigen Wörtchen zu
loben gewagt, dieſe zarte Knospe, von der ſelbſt
der Verderber den Muth nicht haben könnte,
den Himmelsthau abzuſtreifen? Und die ſtille
Demuth, die ihren Werth ſo ganz nicht ahnet,
— o ſelige Mutter! und dreimal ſeliger Mann,
der ſie einſt an ſein Herz drückt! Jedes andere
als Du, meine Emma, müßte mich der Schwär-
merei zeihen — aber das Mutterherz, wie die
Liebe, glaubet alles, und hoffet alles: und ſeine
Hoffnung ſoll nimmer zu Schanden werden. Lebe
wohl!
Neun und ſechszigſter Brief.
Seraphine iſt faſt ganz geneſen. Wir alle laſ-
ſen es uns angelegen ſeyn, die kleinen Fältchen
wieder auszuglätten, die ſie von ihrem Krankſeyn
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