Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.Menschen recht einheimisch werden kann, muß es eine Hauptsorge der Erzieher seyn, ihren Zöglin- gen zum reinen Gesundheitsgefühl zu verhelfen, weil darin die eigentlich liberale Gesinnung und alle großmüthigen Gefühle gedeihen, besonders bei Knaben. Ein Mann, der von Kindheit auf kränklich war, wird fast unausbleiblich einen gar kleinlichen Charakter, wenigstens eine starke Bei- mischung von allerlei Kleinheiten bekommen. Nur aus dem Gefühle der Kraft gehet die Großmuth hervor, wie die meisten herrlichen Tugenden. Frei- lich ist weder das eine noch das andere Hauptzug der Weiblichkeit, aber man thut unrecht, wenn man die Scheidegrenze beider Geschlechter so gar scharf ziehen will, als ob beide nicht dennoch in der einen Jdee Mensch wieder zusammenflössen! und nicht auch die weibliche Kraft ein Boden sey, auf dem die schönsten Blüthen und Früchte allein recht gedeihen könnten. Nein, Emma, gesündere blü- hendere Mädchen als unsere, weiß ich weit und breit nicht -- und -- mit stolzer Demuth laß es mich Dir einmal laut bekennen, -- bessere auch nicht. Ein so stolzes Wort hast Du von Deiner Freundin zu- Menſchen recht einheimiſch werden kann, muß es eine Hauptſorge der Erzieher ſeyn, ihren Zöglin- gen zum reinen Geſundheitsgefühl zu verhelfen, weil darin die eigentlich liberale Geſinnung und alle großmüthigen Gefühle gedeihen, beſonders bei Knaben. Ein Mann, der von Kindheit auf kränklich war, wird faſt unausbleiblich einen gar kleinlichen Charakter, wenigſtens eine ſtarke Bei- miſchung von allerlei Kleinheiten bekommen. Nur aus dem Gefühle der Kraft gehet die Großmuth hervor, wie die meiſten herrlichen Tugenden. Frei- lich iſt weder das eine noch das andere Hauptzug der Weiblichkeit, aber man thut unrecht, wenn man die Scheidegrenze beider Geſchlechter ſo gar ſcharf ziehen will, als ob beide nicht dennoch in der einen Jdee Menſch wieder zuſammenflöſſen! und nicht auch die weibliche Kraft ein Boden ſey, auf dem die ſchönſten Blüthen und Früchte allein recht gedeihen könnten. Nein, Emma, geſündere blü- hendere Mädchen als unſere, weiß ich weit und breit nicht — und — mit ſtolzer Demuth laß es mich Dir einmal laut bekennen, — beſſere auch nicht. Ein ſo ſtolzes Wort haſt Du von Deiner Freundin zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0246" n="238"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Menſchen recht einheimiſch werden kann, muß es<lb/> eine Hauptſorge der Erzieher ſeyn, ihren Zöglin-<lb/> gen zum reinen Geſundheitsgefühl zu verhelfen,<lb/> weil darin die eigentlich liberale Geſinnung und<lb/> alle großmüthigen Gefühle gedeihen, beſonders<lb/> bei Knaben. Ein Mann, der von Kindheit auf<lb/> kränklich war, wird faſt unausbleiblich einen gar<lb/> kleinlichen Charakter, wenigſtens eine ſtarke Bei-<lb/> miſchung von allerlei Kleinheiten bekommen. Nur<lb/> aus dem Gefühle der Kraft gehet die Großmuth<lb/> hervor, wie die meiſten herrlichen Tugenden. Frei-<lb/> lich iſt weder das eine noch das andere Hauptzug<lb/> der Weiblichkeit, aber man thut unrecht, wenn<lb/> man die Scheidegrenze beider Geſchlechter ſo gar<lb/> ſcharf ziehen will, als ob beide nicht dennoch in der<lb/> einen Jdee Menſch wieder zuſammenflöſſen! und<lb/> nicht auch die weibliche Kraft ein Boden ſey, auf<lb/> dem die ſchönſten Blüthen und Früchte allein recht<lb/> gedeihen könnten. Nein, Emma, geſündere blü-<lb/> hendere Mädchen als unſere, weiß ich weit und breit<lb/> nicht — und — mit ſtolzer Demuth laß es mich Dir<lb/> einmal laut bekennen, — beſſere auch nicht. Ein<lb/> ſo ſtolzes Wort haſt Du von Deiner Freundin zu-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [238/0246]
Menſchen recht einheimiſch werden kann, muß es
eine Hauptſorge der Erzieher ſeyn, ihren Zöglin-
gen zum reinen Geſundheitsgefühl zu verhelfen,
weil darin die eigentlich liberale Geſinnung und
alle großmüthigen Gefühle gedeihen, beſonders
bei Knaben. Ein Mann, der von Kindheit auf
kränklich war, wird faſt unausbleiblich einen gar
kleinlichen Charakter, wenigſtens eine ſtarke Bei-
miſchung von allerlei Kleinheiten bekommen. Nur
aus dem Gefühle der Kraft gehet die Großmuth
hervor, wie die meiſten herrlichen Tugenden. Frei-
lich iſt weder das eine noch das andere Hauptzug
der Weiblichkeit, aber man thut unrecht, wenn
man die Scheidegrenze beider Geſchlechter ſo gar
ſcharf ziehen will, als ob beide nicht dennoch in der
einen Jdee Menſch wieder zuſammenflöſſen! und
nicht auch die weibliche Kraft ein Boden ſey, auf
dem die ſchönſten Blüthen und Früchte allein recht
gedeihen könnten. Nein, Emma, geſündere blü-
hendere Mädchen als unſere, weiß ich weit und breit
nicht — und — mit ſtolzer Demuth laß es mich Dir
einmal laut bekennen, — beſſere auch nicht. Ein
ſo ſtolzes Wort haſt Du von Deiner Freundin zu-
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