Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.unart beständig zur Hand hält. Jch hörte das kleine Evchen schreien, und immer dazwischen ru- fen, daß sie geschickt seyn wolle. Jch gieng mit Seraphine hinzu. Seraphine sah solchen Akt der Zucht zum erstenmale, sie fragte: warum schlägt die Mutter Evchen? Jch antwortete kalt und ohne Anwendung auf sie: weil Evchen immer schreit, und weil das sehr garstig ist. "Seraphine will nicht mehr schreien, süße Mutter!" Und sie schreit seitdem wirklich nicht mehr, sondern weint still in einem Eckchen, wenn ihr etwas durch den Sinn fährt, oder kommt, sich anschmiegend, zu mir mit jedem kleinen Wehe, es mir zu klagen. Kleine Unergründlichkeiten mancher Art finde unart beſtändig zur Hand hält. Jch hörte das kleine Evchen ſchreien, und immer dazwiſchen ru- fen, daß ſie geſchickt ſeyn wolle. Jch gieng mit Seraphine hinzu. Seraphine ſah ſolchen Akt der Zucht zum erſtenmale, ſie fragte: warum ſchlägt die Mutter Evchen? Jch antwortete kalt und ohne Anwendung auf ſie: weil Evchen immer ſchreit, und weil das ſehr garſtig iſt. „Seraphine will nicht mehr ſchreien, ſüße Mutter!‟ Und ſie ſchreit ſeitdem wirklich nicht mehr, ſondern weint ſtill in einem Eckchen, wenn ihr etwas durch den Sinn fährt, oder kommt, ſich anſchmiegend, zu mir mit jedem kleinen Wehe, es mir zu klagen. Kleine Unergründlichkeiten mancher Art finde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0253" n="245"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> unart beſtändig zur Hand hält. Jch hörte das<lb/> kleine Evchen ſchreien, und immer dazwiſchen ru-<lb/> fen, daß ſie geſchickt ſeyn wolle. Jch gieng mit<lb/> Seraphine hinzu. Seraphine ſah ſolchen Akt der<lb/> Zucht zum erſtenmale, ſie fragte: warum ſchlägt<lb/> die Mutter Evchen? Jch antwortete kalt und ohne<lb/> Anwendung auf ſie: weil Evchen immer ſchreit,<lb/> und weil das ſehr garſtig iſt. „Seraphine will<lb/> nicht mehr ſchreien, ſüße Mutter!‟ Und ſie ſchreit<lb/> ſeitdem wirklich nicht mehr, ſondern weint ſtill in<lb/> einem Eckchen, wenn ihr etwas durch den Sinn<lb/> fährt, oder kommt, ſich anſchmiegend, zu mir<lb/> mit jedem kleinen Wehe, es mir zu klagen.</p><lb/> <p>Kleine Unergründlichkeiten mancher Art finde<lb/> ich immer noch in dem Kinde. So z. B. (Se-<lb/> raphine hat nemlich ungemeine Luſt an bunten<lb/> Farben, und beſchäftigt ſich gerne damit, ſie zu<lb/> unterſcheiden) vor einigen Wochen hatte ich ein<lb/> blaues Kleid an, und das Kind auch. Seraphine<lb/> bemerkte es zuerſt, freute ſich laut darüber, und<lb/> wiederholte oft: Mutter ein blaues Kleid an hat,<lb/> und Seraphine ein blaues Kleid an hat. — Den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0253]
unart beſtändig zur Hand hält. Jch hörte das
kleine Evchen ſchreien, und immer dazwiſchen ru-
fen, daß ſie geſchickt ſeyn wolle. Jch gieng mit
Seraphine hinzu. Seraphine ſah ſolchen Akt der
Zucht zum erſtenmale, ſie fragte: warum ſchlägt
die Mutter Evchen? Jch antwortete kalt und ohne
Anwendung auf ſie: weil Evchen immer ſchreit,
und weil das ſehr garſtig iſt. „Seraphine will
nicht mehr ſchreien, ſüße Mutter!‟ Und ſie ſchreit
ſeitdem wirklich nicht mehr, ſondern weint ſtill in
einem Eckchen, wenn ihr etwas durch den Sinn
fährt, oder kommt, ſich anſchmiegend, zu mir
mit jedem kleinen Wehe, es mir zu klagen.
Kleine Unergründlichkeiten mancher Art finde
ich immer noch in dem Kinde. So z. B. (Se-
raphine hat nemlich ungemeine Luſt an bunten
Farben, und beſchäftigt ſich gerne damit, ſie zu
unterſcheiden) vor einigen Wochen hatte ich ein
blaues Kleid an, und das Kind auch. Seraphine
bemerkte es zuerſt, freute ſich laut darüber, und
wiederholte oft: Mutter ein blaues Kleid an hat,
und Seraphine ein blaues Kleid an hat. — Den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |