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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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andern Pferden könne er eben nicht stehen, aber
diese braunen Pferde hätten noch nie einem Men-
schen etwas gethan. Dies nahm ich in meiner
Einfalt an, und wie ich erst mit den braunen Pfer-
den vertraut war, ward ich's bald auch mit den
Schimmeln, Rappen und Schecken, kurz ich war
von dieser Furcht bald genesen. Die vor Hunden
dauerte länger, weil mich das wüste Gebell immer
außer Fassung schreckte. Am tiefsten aber war die
Geisterfurcht bei mir gewurzelt, und hatte sich
durch Mährchen von verwünschten Prinzen auf eine
sonderbare Weise mit der Furcht vor Hunden amal-
gamirt. Nun hatte unser Nachbar einen unge-
heuern ganz schwarzen Hund, der sich Abends wohl
in unser Haus schlich. Er hieß Wacker, und die-
ser Wacker erschien mir Abends immer als böser
Geist, so daß ich jedesmal erbärmlich weinte, wenn
ich hinaus in den Gang sollte. Da stand dann
wohl mein Vater auf, ging ohne Licht hinaus auf
den Gang, kam ganz still wieder herein, stellte
sich mitten unter uns, und sagte mit komischem
Ernst: Kinder, seht mich doch einmal von oben bis
unten und recht scharf an, ob ihr irgend etwas an



andern Pferden könne er eben nicht ſtehen, aber
dieſe braunen Pferde hätten noch nie einem Men-
ſchen etwas gethan. Dies nahm ich in meiner
Einfalt an, und wie ich erſt mit den braunen Pfer-
den vertraut war, ward ich’s bald auch mit den
Schimmeln, Rappen und Schecken, kurz ich war
von dieſer Furcht bald geneſen. Die vor Hunden
dauerte länger, weil mich das wüſte Gebell immer
außer Faſſung ſchreckte. Am tiefſten aber war die
Geiſterfurcht bei mir gewurzelt, und hatte ſich
durch Mährchen von verwünſchten Prinzen auf eine
ſonderbare Weiſe mit der Furcht vor Hunden amal-
gamirt. Nun hatte unſer Nachbar einen unge-
heuern ganz ſchwarzen Hund, der ſich Abends wohl
in unſer Haus ſchlich. Er hieß Wacker, und die-
ſer Wacker erſchien mir Abends immer als böſer
Geiſt, ſo daß ich jedesmal erbärmlich weinte, wenn
ich hinaus in den Gang ſollte. Da ſtand dann
wohl mein Vater auf, ging ohne Licht hinaus auf
den Gang, kam ganz ſtill wieder herein, ſtellte
ſich mitten unter uns, und ſagte mit komiſchem
Ernſt: Kinder, ſeht mich doch einmal von oben bis
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[268/0276] andern Pferden könne er eben nicht ſtehen, aber dieſe braunen Pferde hätten noch nie einem Men- ſchen etwas gethan. Dies nahm ich in meiner Einfalt an, und wie ich erſt mit den braunen Pfer- den vertraut war, ward ich’s bald auch mit den Schimmeln, Rappen und Schecken, kurz ich war von dieſer Furcht bald geneſen. Die vor Hunden dauerte länger, weil mich das wüſte Gebell immer außer Faſſung ſchreckte. Am tiefſten aber war die Geiſterfurcht bei mir gewurzelt, und hatte ſich durch Mährchen von verwünſchten Prinzen auf eine ſonderbare Weiſe mit der Furcht vor Hunden amal- gamirt. Nun hatte unſer Nachbar einen unge- heuern ganz ſchwarzen Hund, der ſich Abends wohl in unſer Haus ſchlich. Er hieß Wacker, und die- ſer Wacker erſchien mir Abends immer als böſer Geiſt, ſo daß ich jedesmal erbärmlich weinte, wenn ich hinaus in den Gang ſollte. Da ſtand dann wohl mein Vater auf, ging ohne Licht hinaus auf den Gang, kam ganz ſtill wieder herein, ſtellte ſich mitten unter uns, und ſagte mit komiſchem Ernſt: Kinder, ſeht mich doch einmal von oben bis unten und recht ſcharf an, ob ihr irgend etwas an

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/276>, abgerufen am 21.11.2024.