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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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kindlichen Gemüths -- so dacht' ich immer, müsse
Clärchen einst lieben und so geliebt werden. Wie
so schön gestaltet sich die Liebe in einem noch ganz
frischen Herzen, das von keiner frühen Treibhaus-
glut angesengt wurde, das von diesem ganz neuen
Gefühl, wie von einem Paradiesesengel besucht
wird, wie so anders, als in den halbwelken,
halbverbrauchten Herzen! -- Wie können sie mich
jammern, die kleinen liebelnden Persönchen, de-
nen eine so reine Seligkeit durch das elende Vor-
spiel der ersten Liebe, oder durch frühgereizte
Sinnlichkeit verloren gehet! -- O mißgönnet eu-
ren Töchtern den Himmel der Liebe nicht, der
nur einem ganz frischen Herzen offen stehet, miß-
gönnet ihn euren Töchtern nicht, ihr Mütter,
auch wenn ihr selbst durch die Muttereitelkeit eu-
rer Mütter darum gekommen wäret, wenn das
Verlangen, euch früh bewundert zu sehen, euch
Armen das gelobte Land der Liebe verschlossen ha-
ben sollte, und eure erste wirkliche Liebe nichts
weiter war, als matte Wiederholung [de]s oft er-
neuerten Phantasiespieles, und eure Ehe nichts
weiter ist, als ein Vertrag um der bürgerlichen



kindlichen Gemüths — ſo dacht’ ich immer, müſſe
Clärchen einſt lieben und ſo geliebt werden. Wie
ſo ſchön geſtaltet ſich die Liebe in einem noch ganz
friſchen Herzen, das von keiner frühen Treibhaus-
glut angeſengt wurde, das von dieſem ganz neuen
Gefühl, wie von einem Paradieſesengel beſucht
wird, wie ſo anders, als in den halbwelken,
halbverbrauchten Herzen! — Wie können ſie mich
jammern, die kleinen liebelnden Perſönchen, de-
nen eine ſo reine Seligkeit durch das elende Vor-
ſpiel der erſten Liebe, oder durch frühgereizte
Sinnlichkeit verloren gehet! — O mißgönnet eu-
ren Töchtern den Himmel der Liebe nicht, der
nur einem ganz friſchen Herzen offen ſtehet, miß-
gönnet ihn euren Töchtern nicht, ihr Mütter,
auch wenn ihr ſelbſt durch die Muttereitelkeit eu-
rer Mütter darum gekommen wäret, wenn das
Verlangen, euch früh bewundert zu ſehen, euch
Armen das gelobte Land der Liebe verſchloſſen ha-
ben ſollte, und eure erſte wirkliche Liebe nichts
weiter war, als matte Wiederholung [de]s oft er-
neuerten Phantaſieſpieles, und eure Ehe nichts
weiter iſt, als ein Vertrag um der bürgerlichen

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[323/0331] kindlichen Gemüths — ſo dacht’ ich immer, müſſe Clärchen einſt lieben und ſo geliebt werden. Wie ſo ſchön geſtaltet ſich die Liebe in einem noch ganz friſchen Herzen, das von keiner frühen Treibhaus- glut angeſengt wurde, das von dieſem ganz neuen Gefühl, wie von einem Paradieſesengel beſucht wird, wie ſo anders, als in den halbwelken, halbverbrauchten Herzen! — Wie können ſie mich jammern, die kleinen liebelnden Perſönchen, de- nen eine ſo reine Seligkeit durch das elende Vor- ſpiel der erſten Liebe, oder durch frühgereizte Sinnlichkeit verloren gehet! — O mißgönnet eu- ren Töchtern den Himmel der Liebe nicht, der nur einem ganz friſchen Herzen offen ſtehet, miß- gönnet ihn euren Töchtern nicht, ihr Mütter, auch wenn ihr ſelbſt durch die Muttereitelkeit eu- rer Mütter darum gekommen wäret, wenn das Verlangen, euch früh bewundert zu ſehen, euch Armen das gelobte Land der Liebe verſchloſſen ha- ben ſollte, und eure erſte wirkliche Liebe nichts weiter war, als matte Wiederholung des oft er- neuerten Phantaſieſpieles, und eure Ehe nichts weiter iſt, als ein Vertrag um der bürgerlichen

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/331>, abgerufen am 21.11.2024.