Ja, liebe Eltern, laßt euren Sohn zu euch kommen, auf daß er sein Glück besser trage, und darin nicht erliege; oder schickt ihn auf irgend et- was Großes etwas Schweres aus, damit er sein Kleinod erringe. Nur noch 2 -- 3 schöne Minu- ten, d. h. Monate muß er aus diesem Freuden- kelche trinken, um seines Glückes ganz inne zu werden: dann ruft ihn ab, daß er deß alles werth werde -- o Thor, der ich bin! wer kann denn ei- nes solchen Freudenhimmels je werth seyn?
Lebet wohl!
Euer Woldemar.
Jch, meine Emma, setze heute nur noch weni- ges hinzu, damit unser Briefpaquet schnell abge- hen könne, und Du der höchsten Mutterfreuden so früh als möglich theilhaftig werdest. Nur das noch, liebe Emma, und Sie, bester D --: kommt bald zurück! Das Leben ist kurz, und solche Freu- den wollen genossen seyn. Eilt, ihr Theuren, zu- rück zum Vaterlande! Was kann der Schauplatz
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Woldemar fährt fort:
Ja, liebe Eltern, laßt euren Sohn zu euch kommen, auf daß er ſein Glück beſſer trage, und darin nicht erliege; oder ſchickt ihn auf irgend et- was Großes etwas Schweres aus, damit er ſein Kleinod erringe. Nur noch 2 — 3 ſchöne Minu- ten, d. h. Monate muß er aus dieſem Freuden- kelche trinken, um ſeines Glückes ganz inne zu werden: dann ruft ihn ab, daß er deß alles werth werde — o Thor, der ich bin! wer kann denn ei- nes ſolchen Freudenhimmels je werth ſeyn?
Lebet wohl!
Euer Woldemar.
Jch, meine Emma, ſetze heute nur noch weni- ges hinzu, damit unſer Briefpaquet ſchnell abge- hen könne, und Du der höchſten Mutterfreuden ſo früh als möglich theilhaftig werdeſt. Nur das noch, liebe Emma, und Sie, beſter D —: kommt bald zurück! Das Leben iſt kurz, und ſolche Freu- den wollen genoſſen ſeyn. Eilt, ihr Theuren, zu- rück zum Vaterlande! Was kann der Schauplatz
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Woldemar fährt fort:
Ja, liebe Eltern, laßt euren Sohn zu euch
kommen, auf daß er ſein Glück beſſer trage, und
darin nicht erliege; oder ſchickt ihn auf irgend et-
was Großes etwas Schweres aus, damit er ſein
Kleinod erringe. Nur noch 2 — 3 ſchöne Minu-
ten, d. h. Monate muß er aus dieſem Freuden-
kelche trinken, um ſeines Glückes ganz inne zu
werden: dann ruft ihn ab, daß er deß alles werth
werde — o Thor, der ich bin! wer kann denn ei-
nes ſolchen Freudenhimmels je werth ſeyn?
Lebet wohl!
Euer Woldemar.
Jch, meine Emma, ſetze heute nur noch weni-
ges hinzu, damit unſer Briefpaquet ſchnell abge-
hen könne, und Du der höchſten Mutterfreuden ſo
früh als möglich theilhaftig werdeſt. Nur das
noch, liebe Emma, und Sie, beſter D —: kommt
bald zurück! Das Leben iſt kurz, und ſolche Freu-
den wollen genoſſen ſeyn. Eilt, ihr Theuren, zu-
rück zum Vaterlande! Was kann der Schauplatz
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/353>, abgerufen am 21.11.2024.
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