da schlimme Gewöhnungen annehmen? Was waren die Ammen der Alten anders, welche le- benslängliche Mitglieder des Hauses bleiben, und eines so großen Ansehens darin genoßen, als solche Gertruden? Freilich wenn man eine solche Person ohne Autorität über die Kinder setzt, und sie sich selbst keine zu geben vermag, dann ist ihre Aufsicht eher schädlich als heilsam. So bald sie in der Mutter Abwesenheit Stellvertreterin seyn soll, muß auch kein Schatten von der Dienstmagd mehr auf sie fallen, sie muß von Stund an mit Achtung behandelt werden. Dies setzt nothwen- dig voraus, daß sie sie wirklich verdiene. Die Aus- führbarkeit dieser Jdee war mir nie zweifelhaft. Noch gewißer ist sie mir geworden, seit ich Deine Gertrud wieder gesehen. Aber sie hat auch eine ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat sie gesehen, daß unsere Weise die rechte sey. De- sto sicherer folgt sie ihr nun bei den beiden Klei- nen. Und daß sich auch diesen Menschen Rein- lichkeit anerziehen läßt -- ein Punkt den ich am meisten bezweifelte -- hat sie uns gleichfalls be- wiesen. Jhr ganzes äußeres Ansehen war jetzt
da ſchlimme Gewöhnungen annehmen? Was waren die Ammen der Alten anders, welche le- benslängliche Mitglieder des Hauſes bleiben, und eines ſo großen Anſehens darin genoßen, als ſolche Gertruden? Freilich wenn man eine ſolche Perſon ohne Autorität über die Kinder ſetzt, und ſie ſich ſelbſt keine zu geben vermag, dann iſt ihre Aufſicht eher ſchädlich als heilſam. So bald ſie in der Mutter Abweſenheit Stellvertreterin ſeyn ſoll, muß auch kein Schatten von der Dienſtmagd mehr auf ſie fallen, ſie muß von Stund an mit Achtung behandelt werden. Dies ſetzt nothwen- dig voraus, daß ſie ſie wirklich verdiene. Die Aus- führbarkeit dieſer Jdee war mir nie zweifelhaft. Noch gewißer iſt ſie mir geworden, ſeit ich Deine Gertrud wieder geſehen. Aber ſie hat auch eine ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat ſie geſehen, daß unſere Weiſe die rechte ſey. De- ſto ſicherer folgt ſie ihr nun bei den beiden Klei- nen. Und daß ſich auch dieſen Menſchen Rein- lichkeit anerziehen läßt — ein Punkt den ich am meiſten bezweifelte — hat ſie uns gleichfalls be- wieſen. Jhr ganzes äußeres Anſehen war jetzt
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da ſchlimme Gewöhnungen annehmen? Was
waren die Ammen der Alten anders, welche le-
benslängliche Mitglieder des Hauſes bleiben, und
eines ſo großen Anſehens darin genoßen, als
ſolche Gertruden? Freilich wenn man eine ſolche
Perſon ohne Autorität über die Kinder ſetzt, und
ſie ſich ſelbſt keine zu geben vermag, dann iſt ihre
Aufſicht eher ſchädlich als heilſam. So bald ſie
in der Mutter Abweſenheit Stellvertreterin ſeyn
ſoll, muß auch kein Schatten von der Dienſtmagd
mehr auf ſie fallen, ſie muß von Stund an mit
Achtung behandelt werden. Dies ſetzt nothwen-
dig voraus, daß ſie ſie wirklich verdiene. Die Aus-
führbarkeit dieſer Jdee war mir nie zweifelhaft.
Noch gewißer iſt ſie mir geworden, ſeit ich Deine
Gertrud wieder geſehen. Aber ſie hat auch eine
ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat
ſie geſehen, daß unſere Weiſe die rechte ſey. De-
ſto ſicherer folgt ſie ihr nun bei den beiden Klei-
nen. Und daß ſich auch dieſen Menſchen Rein-
lichkeit anerziehen läßt — ein Punkt den ich am
meiſten bezweifelte — hat ſie uns gleichfalls be-
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/47>, abgerufen am 02.05.2024.
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