Mich düukt, ich selbst hätte sie nie so tanzen sehen. Ob wohl schon ein dunkles Gefühl, ein stilles Sehnen zu gefallen, erwachen mochte? Und doch, sie war so kindlich unbefangen, so ganz heiter und frei. Mathilde war ganz in der Freude des Tanzes verloren. Clärchens Manier hat noch immer einen kleinen Anstrich des Bäuri- schen. Aber die frische Blüthe ihrer Wangen, und das liebe treuherzige Auge, und ihre ganze fast schwesterliche Art, mit dem Landvolk umzu- gehen, machten sie äußerst liebenswürdig. Die guten Leute konnten sich nicht satt an ihr freuen. Betty tanzt nicht. Aber sie bot mit sehr hübscher Art Erfrischungen umher. Um 1 Uhr gingen die Herren nach Hause. O Emma, wie ist die Welt oft so schön! Und es gibt Tage, wo dies Ge- fühl durch alle unsere Adern gewaltig strömt. Wie heiter ergoß der Lebensstrom sich durch mein ganzes Wesen. Und was war es denn, das mich so überfroh machte? Nichts anders als der Ein- klang aller, die rein harmonische Stimmung des ganzen Kreises, der mich umgab.
Mich düukt, ich ſelbſt hätte ſie nie ſo tanzen ſehen. Ob wohl ſchon ein dunkles Gefühl, ein ſtilles Sehnen zu gefallen, erwachen mochte? Und doch, ſie war ſo kindlich unbefangen, ſo ganz heiter und frei. Mathilde war ganz in der Freude des Tanzes verloren. Clärchens Manier hat noch immer einen kleinen Anſtrich des Bäuri- ſchen. Aber die friſche Blüthe ihrer Wangen, und das liebe treuherzige Auge, und ihre ganze faſt ſchweſterliche Art, mit dem Landvolk umzu- gehen, machten ſie äußerſt liebenswürdig. Die guten Leute konnten ſich nicht ſatt an ihr freuen. Betty tanzt nicht. Aber ſie bot mit ſehr hübſcher Art Erfriſchungen umher. Um 1 Uhr gingen die Herren nach Hauſe. O Emma, wie iſt die Welt oft ſo ſchön! Und es gibt Tage, wo dies Ge- fühl durch alle unſere Adern gewaltig ſtrömt. Wie heiter ergoß der Lebensſtrom ſich durch mein ganzes Weſen. Und was war es denn, das mich ſo überfroh machte? Nichts anders als der Ein- klang aller, die rein harmoniſche Stimmung des ganzen Kreiſes, der mich umgab.
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Mich düukt, ich ſelbſt hätte ſie nie ſo tanzen
ſehen. Ob wohl ſchon ein dunkles Gefühl, ein
ſtilles Sehnen zu gefallen, erwachen mochte?
Und doch, ſie war ſo kindlich unbefangen, ſo
ganz heiter und frei. Mathilde war ganz in der
Freude des Tanzes verloren. Clärchens Manier
hat noch immer einen kleinen Anſtrich des Bäuri-
ſchen. Aber die friſche Blüthe ihrer Wangen,
und das liebe treuherzige Auge, und ihre ganze
faſt ſchweſterliche Art, mit dem Landvolk umzu-
gehen, machten ſie äußerſt liebenswürdig. Die
guten Leute konnten ſich nicht ſatt an ihr freuen.
Betty tanzt nicht. Aber ſie bot mit ſehr hübſcher
Art Erfriſchungen umher. Um 1 Uhr gingen die
Herren nach Hauſe. O Emma, wie iſt die Welt
oft ſo ſchön! Und es gibt Tage, wo dies Ge-
fühl durch alle unſere Adern gewaltig ſtrömt.
Wie heiter ergoß der Lebensſtrom ſich durch mein
ganzes Weſen. Und was war es denn, das mich
ſo überfroh machte? Nichts anders als der Ein-
klang aller, die rein harmoniſche Stimmung des
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/93>, abgerufen am 23.11.2024.
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