Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.Trägst du ohn' Ungeduld Frost, Regen, Sturm und Wind? Nur Menschenunbestand ist dir zu ungelind? Der Mann, der vor dem Zwang des Lebens nimmt die Flucht, Ist wie der Knabe, der entläuft der Eltern Zucht, Der sich bequemen will ehr allem Unbequemen, Um Rache, wie er meint, nur an der Zucht zu nehmen. Der rechte Mann erkennt und ehrt des Lebens Schranken, Und der Erkenntnis wird er seine Freiheit danken. Sein Innres ist sein Thun, das strebt er zu vermehren; Von außen leidet er, das strebt er abzuwehren. Und selbst sein Leiden weiß in Thun er zu verwandeln, Wenn menschlich handelnd er lehrt Menschen menschlich handeln. Denn uneins unter sich macht Menschen Leidenschaft, Und nur in der Vernunft ist ihrer Einheit Kraft. Des Menschen Aufgab' ist Erziehung und Entwildung Des menschlichen Geschlechts und eigne Menschheitsbildung. Traͤgſt du ohn' Ungeduld Froſt, Regen, Sturm und Wind? Nur Menſchenunbeſtand iſt dir zu ungelind? Der Mann, der vor dem Zwang des Lebens nimmt die Flucht, Iſt wie der Knabe, der entlaͤuft der Eltern Zucht, Der ſich bequemen will ehr allem Unbequemen, Um Rache, wie er meint, nur an der Zucht zu nehmen. Der rechte Mann erkennt und ehrt des Lebens Schranken, Und der Erkenntnis wird er ſeine Freiheit danken. Sein Innres iſt ſein Thun, das ſtrebt er zu vermehren; Von außen leidet er, das ſtrebt er abzuwehren. Und ſelbſt ſein Leiden weiß in Thun er zu verwandeln, Wenn menſchlich handelnd er lehrt Menſchen menſchlich handeln. Denn uneins unter ſich macht Menſchen Leidenſchaft, Und nur in der Vernunft iſt ihrer Einheit Kraft. Des Menſchen Aufgab' iſt Erziehung und Entwildung Des menſchlichen Geſchlechts und eigne Menſchheitsbildung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0171" n="161"/> <lg n="6"> <l>Traͤgſt du ohn' Ungeduld Froſt, Regen, Sturm und Wind?</l><lb/> <l>Nur Menſchenunbeſtand iſt dir zu ungelind?</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Der Mann, der vor dem Zwang des Lebens nimmt die Flucht,</l><lb/> <l>Iſt wie der Knabe, der entlaͤuft der Eltern Zucht,</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Der ſich bequemen will ehr allem Unbequemen,</l><lb/> <l>Um Rache, wie er meint, nur an der Zucht zu nehmen.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Der rechte Mann erkennt und ehrt des Lebens Schranken,</l><lb/> <l>Und der Erkenntnis wird er ſeine Freiheit danken.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Sein Innres iſt ſein Thun, das ſtrebt er zu vermehren;</l><lb/> <l>Von außen leidet er, das ſtrebt er abzuwehren.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Und ſelbſt ſein Leiden weiß in Thun er zu verwandeln,</l><lb/> <l>Wenn menſchlich handelnd er lehrt Menſchen menſchlich handeln.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Denn uneins unter ſich macht Menſchen Leidenſchaft,</l><lb/> <l>Und nur in der Vernunft iſt ihrer Einheit Kraft.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Des Menſchen Aufgab' iſt Erziehung und Entwildung</l><lb/> <l>Des menſchlichen Geſchlechts und eigne Menſchheitsbildung.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [161/0171]
Traͤgſt du ohn' Ungeduld Froſt, Regen, Sturm und Wind?
Nur Menſchenunbeſtand iſt dir zu ungelind?
Der Mann, der vor dem Zwang des Lebens nimmt die Flucht,
Iſt wie der Knabe, der entlaͤuft der Eltern Zucht,
Der ſich bequemen will ehr allem Unbequemen,
Um Rache, wie er meint, nur an der Zucht zu nehmen.
Der rechte Mann erkennt und ehrt des Lebens Schranken,
Und der Erkenntnis wird er ſeine Freiheit danken.
Sein Innres iſt ſein Thun, das ſtrebt er zu vermehren;
Von außen leidet er, das ſtrebt er abzuwehren.
Und ſelbſt ſein Leiden weiß in Thun er zu verwandeln,
Wenn menſchlich handelnd er lehrt Menſchen menſchlich handeln.
Denn uneins unter ſich macht Menſchen Leidenſchaft,
Und nur in der Vernunft iſt ihrer Einheit Kraft.
Des Menſchen Aufgab' iſt Erziehung und Entwildung
Des menſchlichen Geſchlechts und eigne Menſchheitsbildung.
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