Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.Ins Innre siehet auch dir jeder, dem getrübt Des Geistes Sehkraft selbst nicht ist, noch ungeübt. Und welchem Blicke du begegnest, mußt du bangen, Daß er von Gott die Kraft, dich zu durchschaun, empfangen. An deiner Stirne steht's, dort wird er es entdecken; Wegwischen kannst du's nicht, du kannst es nicht verstecken. Drum wenn dort Böses steht geschrieben, schreibe du In leserlicher Schrift die Beßrung auch dazu. Nicht ungeschrieben zwar wird, was ist ausgestrichen, Doch für den Rechnerblick die Rechnung ausgeglichen. Mein Sohn, nicht darin such' hier Gottes Strafgericht, Daß jedem Sünder man die Strafe sichtbar spricht; Darin, daß keiner hier gesündigt und verbrochen, Der nicht sich selber hat sein Strafurteil gesprochen. Straf' ist ihm das Gefühl, daß er strafwürdig sei, Und mehr noch Strafe dis, daß er von Straf' ist frei. Denn denken muß er, wenn sie hier ihn nicht ereilt,
Entgegen eil' er ihr dort wo sie ewig weilt. Ins Innre ſiehet auch dir jeder, dem getruͤbt Des Geiſtes Sehkraft ſelbſt nicht iſt, noch ungeuͤbt. Und welchem Blicke du begegneſt, mußt du bangen, Daß er von Gott die Kraft, dich zu durchſchaun, empfangen. An deiner Stirne ſteht's, dort wird er es entdecken; Wegwiſchen kannſt du's nicht, du kannſt es nicht verſtecken. Drum wenn dort Boͤſes ſteht geſchrieben, ſchreibe du In leſerlicher Schrift die Beßrung auch dazu. Nicht ungeſchrieben zwar wird, was iſt ausgeſtrichen, Doch fuͤr den Rechnerblick die Rechnung ausgeglichen. Mein Sohn, nicht darin ſuch' hier Gottes Strafgericht, Daß jedem Suͤnder man die Strafe ſichtbar ſpricht; Darin, daß keiner hier geſuͤndigt und verbrochen, Der nicht ſich ſelber hat ſein Strafurteil geſprochen. Straf' iſt ihm das Gefuͤhl, daß er ſtrafwuͤrdig ſei, Und mehr noch Strafe dis, daß er von Straf' iſt frei. Denn denken muß er, wenn ſie hier ihn nicht ereilt,
Entgegen eil' er ihr dort wo ſie ewig weilt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0173" n="163"/> </l> <lg n="4"> <l>Ins Innre ſiehet auch dir jeder, dem getruͤbt</l><lb/> <l>Des Geiſtes Sehkraft ſelbſt nicht iſt, noch ungeuͤbt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Und welchem Blicke du begegneſt, mußt du bangen,</l><lb/> <l>Daß er von Gott die Kraft, dich zu durchſchaun, empfangen.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>An deiner Stirne ſteht's, dort wird er es entdecken;</l><lb/> <l>Wegwiſchen kannſt du's nicht, du kannſt es nicht verſtecken.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Drum wenn dort Boͤſes ſteht geſchrieben, ſchreibe du</l><lb/> <l>In leſerlicher Schrift die Beßrung auch dazu.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Nicht ungeſchrieben zwar wird, was iſt ausgeſtrichen,</l><lb/> <l>Doch fuͤr den Rechnerblick die Rechnung ausgeglichen.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Mein Sohn, nicht darin ſuch' hier Gottes Strafgericht,</l><lb/> <l>Daß jedem Suͤnder man die Strafe ſichtbar ſpricht;</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Darin, daß keiner hier geſuͤndigt und verbrochen,</l><lb/> <l>Der nicht ſich ſelber hat ſein Strafurteil geſprochen.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Straf' iſt ihm das Gefuͤhl, daß er ſtrafwuͤrdig ſei,</l><lb/> <l>Und mehr noch Strafe dis, daß er von Straf' iſt frei.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Denn denken muß er, wenn ſie hier ihn nicht ereilt,</l><lb/> <l>Entgegen eil' er ihr dort wo ſie ewig weilt.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [163/0173]
Ins Innre ſiehet auch dir jeder, dem getruͤbt
Des Geiſtes Sehkraft ſelbſt nicht iſt, noch ungeuͤbt.
Und welchem Blicke du begegneſt, mußt du bangen,
Daß er von Gott die Kraft, dich zu durchſchaun, empfangen.
An deiner Stirne ſteht's, dort wird er es entdecken;
Wegwiſchen kannſt du's nicht, du kannſt es nicht verſtecken.
Drum wenn dort Boͤſes ſteht geſchrieben, ſchreibe du
In leſerlicher Schrift die Beßrung auch dazu.
Nicht ungeſchrieben zwar wird, was iſt ausgeſtrichen,
Doch fuͤr den Rechnerblick die Rechnung ausgeglichen.
Mein Sohn, nicht darin ſuch' hier Gottes Strafgericht,
Daß jedem Suͤnder man die Strafe ſichtbar ſpricht;
Darin, daß keiner hier geſuͤndigt und verbrochen,
Der nicht ſich ſelber hat ſein Strafurteil geſprochen.
Straf' iſt ihm das Gefuͤhl, daß er ſtrafwuͤrdig ſei,
Und mehr noch Strafe dis, daß er von Straf' iſt frei.
Denn denken muß er, wenn ſie hier ihn nicht ereilt,
Entgegen eil' er ihr dort wo ſie ewig weilt.
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