Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
Die holde Mutter sprach: O dürft' ich bei dir bleiben!
Doch schon die Sonne flammt, von dir mich zu vertreiben.
Leb' wohl! auch diesen Tag und jeden mußt du sterben,
Doch neues Leben stets von meinem Hauch erwerben.

42.
Die Erde steht nie still auf ihrer Sonnenreise,
Du kannst nicht stille stehn in deinem Sterbekreise.
Du fernest dich von Gott, sobald du ihm nicht nahst,
Und fühlest deine Schuld, Herz, wann du Winter hast.

43.
Was hat dich, Geist, vermocht aus Gott hervorzuwallen?
Er hat dich nicht verbannt, du bist nicht abgefallen.
Die Liebe nur hat dich, die Liebe dich vertrieben,
Er wollte, daß er dich, daß du ihn könntest lieben.
Wärst du nicht außer ihm, wie könntst du suchen ihn?
Wär' er nicht außer dir, wie könnt' er an dich ziehn?


2*
Die holde Mutter ſprach: O duͤrft' ich bei dir bleiben!
Doch ſchon die Sonne flammt, von dir mich zu vertreiben.
Leb' wohl! auch dieſen Tag und jeden mußt du ſterben,
Doch neues Leben ſtets von meinem Hauch erwerben.

42.
Die Erde ſteht nie ſtill auf ihrer Sonnenreiſe,
Du kannſt nicht ſtille ſtehn in deinem Sterbekreiſe.
Du ferneſt dich von Gott, ſobald du ihm nicht nahſt,
Und fuͤhleſt deine Schuld, Herz, wann du Winter haſt.

43.
Was hat dich, Geiſt, vermocht aus Gott hervorzuwallen?
Er hat dich nicht verbannt, du biſt nicht abgefallen.
Die Liebe nur hat dich, die Liebe dich vertrieben,
Er wollte, daß er dich, daß du ihn koͤnnteſt lieben.
Waͤrſt du nicht außer ihm, wie koͤnntſt du ſuchen ihn?
Waͤr' er nicht außer dir, wie koͤnnt' er an dich ziehn?


2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <l>
              <pb facs="#f0037" n="27"/>
            </l>
            <lg n="5">
              <l>Die holde Mutter &#x017F;prach: O du&#x0364;rft' ich bei dir bleiben!</l><lb/>
              <l>Doch &#x017F;chon die Sonne flammt, von dir mich zu vertreiben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Leb' wohl! auch die&#x017F;en Tag und jeden mußt du &#x017F;terben,</l><lb/>
              <l>Doch neues Leben &#x017F;tets von meinem Hauch erwerben.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>42.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Die Erde &#x017F;teht nie &#x017F;till auf ihrer Sonnenrei&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Du kann&#x017F;t nicht &#x017F;tille &#x017F;tehn in deinem Sterbekrei&#x017F;e.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Du ferne&#x017F;t dich von Gott, &#x017F;obald du ihm nicht nah&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Und fu&#x0364;hle&#x017F;t deine Schuld, Herz, wann du Winter ha&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>43.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Was hat dich, Gei&#x017F;t, vermocht aus Gott hervorzuwallen?</l><lb/>
              <l>Er hat dich nicht verbannt, du bi&#x017F;t nicht abgefallen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Die Liebe nur hat dich, die Liebe dich vertrieben,</l><lb/>
              <l>Er wollte, daß er dich, daß du ihn ko&#x0364;nnte&#x017F;t lieben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Wa&#x0364;r&#x017F;t du nicht außer ihm, wie ko&#x0364;nnt&#x017F;t du &#x017F;uchen ihn?</l><lb/>
              <l>Wa&#x0364;r' er nicht außer dir, wie ko&#x0364;nnt' er an dich ziehn?</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0037] Die holde Mutter ſprach: O duͤrft' ich bei dir bleiben! Doch ſchon die Sonne flammt, von dir mich zu vertreiben. Leb' wohl! auch dieſen Tag und jeden mußt du ſterben, Doch neues Leben ſtets von meinem Hauch erwerben. 42. Die Erde ſteht nie ſtill auf ihrer Sonnenreiſe, Du kannſt nicht ſtille ſtehn in deinem Sterbekreiſe. Du ferneſt dich von Gott, ſobald du ihm nicht nahſt, Und fuͤhleſt deine Schuld, Herz, wann du Winter haſt. 43. Was hat dich, Geiſt, vermocht aus Gott hervorzuwallen? Er hat dich nicht verbannt, du biſt nicht abgefallen. Die Liebe nur hat dich, die Liebe dich vertrieben, Er wollte, daß er dich, daß du ihn koͤnnteſt lieben. Waͤrſt du nicht außer ihm, wie koͤnntſt du ſuchen ihn? Waͤr' er nicht außer dir, wie koͤnnt' er an dich ziehn? 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/37
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/37>, abgerufen am 24.11.2024.