Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.116. O Seele, sündigst du, und denkst, Gott sieht dich nicht; Wie ist die Blindheit groß, wie klein der Einsicht Licht! Und sündigst du und weißt, daß es sein Blick vernahm, Wie ist die Frechheit groß, wie klein ist deine Scham? 117. O Gärtner, der du hier den Baum im Garten ziehst, Mit stolzer Schöpferlust auf deine Schöpfung siehst! In Wahrheit hast du doch den Samen nicht gemacht, Und hast auch nicht daraus den Baum hervorgebracht. Doch dein ist das Verdienst, daß du den Samen streutest, Und groß den Baum zu ziehn, nicht Müh noch Sorgfalt scheutest. 116. O Seele, ſuͤndigſt du, und denkſt, Gott ſieht dich nicht; Wie iſt die Blindheit groß, wie klein der Einſicht Licht! Und ſuͤndigſt du und weißt, daß es ſein Blick vernahm, Wie iſt die Frechheit groß, wie klein iſt deine Scham? 117. O Gaͤrtner, der du hier den Baum im Garten ziehſt, Mit ſtolzer Schoͤpferluſt auf deine Schoͤpfung ſiehſt! In Wahrheit haſt du doch den Samen nicht gemacht, Und haſt auch nicht daraus den Baum hervorgebracht. Doch dein iſt das Verdienſt, daß du den Samen ſtreuteſt, Und groß den Baum zu ziehn, nicht Muͤh noch Sorgfalt ſcheuteſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0220" n="210"/> <div n="2"> <head>116.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>O Seele, ſuͤndigſt du, und denkſt, Gott ſieht dich nicht;</l><lb/> <l>Wie iſt die Blindheit groß, wie klein der Einſicht Licht!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Und ſuͤndigſt du und weißt, daß es ſein Blick vernahm,</l><lb/> <l>Wie iſt die Frechheit groß, wie klein iſt deine Scham?</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>117.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>O Gaͤrtner, der du hier den Baum im Garten ziehſt,</l><lb/> <l>Mit ſtolzer Schoͤpferluſt auf deine Schoͤpfung ſiehſt!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>In Wahrheit haſt du doch den Samen nicht gemacht,</l><lb/> <l>Und haſt auch nicht daraus den Baum hervorgebracht.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Doch dein iſt das Verdienſt, daß du den Samen ſtreuteſt,</l><lb/> <l>Und groß den Baum zu ziehn, nicht Muͤh noch Sorgfalt ſcheuteſt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [210/0220]
116.
O Seele, ſuͤndigſt du, und denkſt, Gott ſieht dich nicht;
Wie iſt die Blindheit groß, wie klein der Einſicht Licht!
Und ſuͤndigſt du und weißt, daß es ſein Blick vernahm,
Wie iſt die Frechheit groß, wie klein iſt deine Scham?
117.
O Gaͤrtner, der du hier den Baum im Garten ziehſt,
Mit ſtolzer Schoͤpferluſt auf deine Schoͤpfung ſiehſt!
In Wahrheit haſt du doch den Samen nicht gemacht,
Und haſt auch nicht daraus den Baum hervorgebracht.
Doch dein iſt das Verdienſt, daß du den Samen ſtreuteſt,
Und groß den Baum zu ziehn, nicht Muͤh noch Sorgfalt ſcheuteſt.
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