Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.15. Die Unschuld liebt im Thier Menschähnliches zu sehn, Bosheit im Menschen Thierverwandtes zu erspähn. Und leicht ist eines auch aufs andre auszulegen, Weil beides überall in beidem ist zugegen, Da das geringste Thier schon auf den Menschen deutet, Und selten sich ein Mensch hat ganz vom Thier gehäutet. Aus jedem Thiere guckt ein Stückchen Mensch hervor, Und jeden Menschen zupft die Thierheit noch am Ohr. Wenn Scharfsinn und Verstand nun liebet Unterscheidung, So liebt dagegen Witz und Fantasie Verkleidung. Doch edler als die Luft an der Karrikatur Ist harmlos spielende Begeistrung der Natur, Die lieber Niederes um eine Stufe rückt Herauf, als Höheres hinab um eine drückt; Der Kindermärchenwelt tiefsinnige Betrachtung, Und des Brahmanen draus entsprungne Thierweltachtung. 15. Die Unſchuld liebt im Thier Menſchaͤhnliches zu ſehn, Bosheit im Menſchen Thierverwandtes zu erſpaͤhn. Und leicht iſt eines auch aufs andre auszulegen, Weil beides uͤberall in beidem iſt zugegen, Da das geringſte Thier ſchon auf den Menſchen deutet, Und ſelten ſich ein Menſch hat ganz vom Thier gehaͤutet. Aus jedem Thiere guckt ein Stuͤckchen Menſch hervor, Und jeden Menſchen zupft die Thierheit noch am Ohr. Wenn Scharfſinn und Verſtand nun liebet Unterſcheidung, So liebt dagegen Witz und Fantaſie Verkleidung. Doch edler als die Luft an der Karrikatur Iſt harmlos ſpielende Begeiſtrung der Natur, Die lieber Niederes um eine Stufe ruͤckt Herauf, als Hoͤheres hinab um eine druͤckt; Der Kindermaͤrchenwelt tiefſinnige Betrachtung, Und des Brahmanen draus entſprungne Thierweltachtung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0025" n="15"/> <div n="2"> <head>15.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Unſchuld liebt im Thier Menſchaͤhnliches zu ſehn,</l><lb/> <l>Bosheit im Menſchen Thierverwandtes zu erſpaͤhn.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Und leicht iſt eines auch aufs andre auszulegen,</l><lb/> <l>Weil beides uͤberall in beidem iſt zugegen,</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Da das geringſte Thier ſchon auf den Menſchen deutet,</l><lb/> <l>Und ſelten ſich ein Menſch hat ganz vom Thier gehaͤutet.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Aus jedem Thiere guckt ein Stuͤckchen Menſch hervor,</l><lb/> <l>Und jeden Menſchen zupft die Thierheit noch am Ohr.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wenn Scharfſinn und Verſtand nun liebet Unterſcheidung,</l><lb/> <l>So liebt dagegen Witz und Fantaſie Verkleidung.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Doch edler als die Luft an der Karrikatur</l><lb/> <l>Iſt harmlos ſpielende Begeiſtrung der Natur,</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Die lieber Niederes um eine Stufe ruͤckt</l><lb/> <l>Herauf, als Hoͤheres hinab um eine druͤckt;</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Der Kindermaͤrchenwelt tiefſinnige Betrachtung,</l><lb/> <l>Und des Brahmanen draus entſprungne Thierweltachtung.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [15/0025]
15.
Die Unſchuld liebt im Thier Menſchaͤhnliches zu ſehn,
Bosheit im Menſchen Thierverwandtes zu erſpaͤhn.
Und leicht iſt eines auch aufs andre auszulegen,
Weil beides uͤberall in beidem iſt zugegen,
Da das geringſte Thier ſchon auf den Menſchen deutet,
Und ſelten ſich ein Menſch hat ganz vom Thier gehaͤutet.
Aus jedem Thiere guckt ein Stuͤckchen Menſch hervor,
Und jeden Menſchen zupft die Thierheit noch am Ohr.
Wenn Scharfſinn und Verſtand nun liebet Unterſcheidung,
So liebt dagegen Witz und Fantaſie Verkleidung.
Doch edler als die Luft an der Karrikatur
Iſt harmlos ſpielende Begeiſtrung der Natur,
Die lieber Niederes um eine Stufe ruͤckt
Herauf, als Hoͤheres hinab um eine druͤckt;
Der Kindermaͤrchenwelt tiefſinnige Betrachtung,
Und des Brahmanen draus entſprungne Thierweltachtung.
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