Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.Er sieht nur freie Luft, und fühlt nur frischen Duft, Und hört den Vater froh wie er der Mutter ruft. Nur nachzusingen, nachzufliegen, nachzuahmen Hat ers, und nie wird er verkrüppeln und erlahmen. Hätt' eine Sängerinn mein Wiegenkind zur Amme, Die ihm des Wohllauts Oel träuft' in die zarte Flamme; Ein farbenbuntes Bett, ein kühles Laubgemach, Den Pfühl des Frühlings und des Himmels goldnes Dach! Auf seinem grünen Pfühl, unter dem goldnen Dach, Wiegt' ihn der Mond in Schlaf, küßt' ihn die Sonne wach! Er pflückte jede Blüt', und bräche jede Frucht, Und ohn' Erziehung wüchs' er auf, ein Bild der Zucht. Er müßte frank und frei, froh wie ein Vogel werden, Und wenn nicht fliegen, doch vor Lust sich so geberden. Er ſieht nur freie Luft, und fuͤhlt nur friſchen Duft, Und hoͤrt den Vater froh wie er der Mutter ruft. Nur nachzuſingen, nachzufliegen, nachzuahmen Hat ers, und nie wird er verkruͤppeln und erlahmen. Haͤtt' eine Saͤngerinn mein Wiegenkind zur Amme, Die ihm des Wohllauts Oel traͤuft' in die zarte Flamme; Ein farbenbuntes Bett, ein kuͤhles Laubgemach, Den Pfuͤhl des Fruͤhlings und des Himmels goldnes Dach! Auf ſeinem gruͤnen Pfuͤhl, unter dem goldnen Dach, Wiegt' ihn der Mond in Schlaf, kuͤßt' ihn die Sonne wach! Er pfluͤckte jede Bluͤt', und braͤche jede Frucht, Und ohn' Erziehung wuͤchſ' er auf, ein Bild der Zucht. Er muͤßte frank und frei, froh wie ein Vogel werden, Und wenn nicht fliegen, doch vor Luſt ſich ſo geberden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0030" n="20"/> <lg n="4"> <l>Er ſieht nur freie Luft, und fuͤhlt nur friſchen Duft,</l><lb/> <l>Und hoͤrt den Vater froh wie er der Mutter ruft.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Nur nachzuſingen, nachzufliegen, nachzuahmen</l><lb/> <l>Hat ers, und nie wird er verkruͤppeln und erlahmen.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Haͤtt' eine Saͤngerinn mein Wiegenkind zur Amme,</l><lb/> <l>Die ihm des Wohllauts Oel traͤuft' in die zarte Flamme;</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Ein farbenbuntes Bett, ein kuͤhles Laubgemach,</l><lb/> <l>Den Pfuͤhl des Fruͤhlings und des Himmels goldnes Dach!</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Auf ſeinem gruͤnen Pfuͤhl, unter dem goldnen Dach,</l><lb/> <l>Wiegt' ihn der Mond in Schlaf, kuͤßt' ihn die Sonne wach!</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Er pfluͤckte jede Bluͤt', und braͤche jede Frucht,</l><lb/> <l>Und ohn' Erziehung wuͤchſ' er auf, ein Bild der Zucht.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Er muͤßte frank und frei, froh wie ein Vogel werden,</l><lb/> <l>Und wenn nicht fliegen, doch vor Luſt ſich ſo geberden.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
Er ſieht nur freie Luft, und fuͤhlt nur friſchen Duft,
Und hoͤrt den Vater froh wie er der Mutter ruft.
Nur nachzuſingen, nachzufliegen, nachzuahmen
Hat ers, und nie wird er verkruͤppeln und erlahmen.
Haͤtt' eine Saͤngerinn mein Wiegenkind zur Amme,
Die ihm des Wohllauts Oel traͤuft' in die zarte Flamme;
Ein farbenbuntes Bett, ein kuͤhles Laubgemach,
Den Pfuͤhl des Fruͤhlings und des Himmels goldnes Dach!
Auf ſeinem gruͤnen Pfuͤhl, unter dem goldnen Dach,
Wiegt' ihn der Mond in Schlaf, kuͤßt' ihn die Sonne wach!
Er pfluͤckte jede Bluͤt', und braͤche jede Frucht,
Und ohn' Erziehung wuͤchſ' er auf, ein Bild der Zucht.
Er muͤßte frank und frei, froh wie ein Vogel werden,
Und wenn nicht fliegen, doch vor Luſt ſich ſo geberden.
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