Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Wenn auch dem Landesherrn Gott wie dem Hausherrn gönnte,
Daß jeden Wunsch er so zufrieden stellen könnte!
Darum ist selig nur der höchste Herr im Himmel,
Weil er beseligen kann alles Weltgewimmel.

58.
Zwei, die sich lieben, sind einander so unähnlich,
Daß der Verstand nicht weiß, was sie bewegt so sehnlich,
Und endlich meint, daß von Unähnlichkeit getrieben
Sie sey'n, einander zur Verähnlichung zu lieben.
Allein mit Künstlerblick, mit liebesfähigem Auge,
Sieh recht die beiden an, und ihre Seelen sauge;
So siehst du aus der Züg' Unähnlichkeiten steigen
Geistige Aehnlichkeit, wie Blütenduft sich zeigen;
Der, wenn Einbildungskraft ihn walten und entfalten
Sich läßt, die Beiden wird zu Einem umgestalten.
Wenn ich ein Maler wär', und hätt' ein Lieb ein feines,
Ich malt' uns ohne Zwang als zwei zugleich und eines.

Wenn auch dem Landesherrn Gott wie dem Hausherrn goͤnnte,
Daß jeden Wunſch er ſo zufrieden ſtellen koͤnnte!
Darum iſt ſelig nur der hoͤchſte Herr im Himmel,
Weil er beſeligen kann alles Weltgewimmel.

58.
Zwei, die ſich lieben, ſind einander ſo unaͤhnlich,
Daß der Verſtand nicht weiß, was ſie bewegt ſo ſehnlich,
Und endlich meint, daß von Unaͤhnlichkeit getrieben
Sie ſey'n, einander zur Veraͤhnlichung zu lieben.
Allein mit Kuͤnſtlerblick, mit liebesfaͤhigem Auge,
Sieh recht die beiden an, und ihre Seelen ſauge;
So ſiehſt du aus der Zuͤg' Unaͤhnlichkeiten ſteigen
Geiſtige Aehnlichkeit, wie Bluͤtenduft ſich zeigen;
Der, wenn Einbildungskraft ihn walten und entfalten
Sich laͤßt, die Beiden wird zu Einem umgeſtalten.
Wenn ich ein Maler waͤr', und haͤtt' ein Lieb ein feines,
Ich malt' uns ohne Zwang als zwei zugleich und eines.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0169" n="159"/>
            <lg n="4">
              <l>Wenn auch dem Landesherrn Gott wie dem Hausherrn go&#x0364;nnte,</l><lb/>
              <l>Daß jeden Wun&#x017F;ch er &#x017F;o zufrieden &#x017F;tellen ko&#x0364;nnte!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Darum i&#x017F;t &#x017F;elig nur der ho&#x0364;ch&#x017F;te Herr im Himmel,</l><lb/>
              <l>Weil er be&#x017F;eligen kann alles Weltgewimmel.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>58.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Zwei, die &#x017F;ich lieben, &#x017F;ind einander &#x017F;o una&#x0364;hnlich,</l><lb/>
              <l>Daß der Ver&#x017F;tand nicht weiß, was &#x017F;ie bewegt &#x017F;o &#x017F;ehnlich,</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Und endlich meint, daß von Una&#x0364;hnlichkeit getrieben</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;ey'n, einander zur Vera&#x0364;hnlichung zu lieben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Allein mit Ku&#x0364;n&#x017F;tlerblick, mit liebesfa&#x0364;higem Auge,</l><lb/>
              <l>Sieh recht die beiden an, und ihre Seelen &#x017F;auge;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>So &#x017F;ieh&#x017F;t du aus der Zu&#x0364;g' Una&#x0364;hnlichkeiten &#x017F;teigen</l><lb/>
              <l>Gei&#x017F;tige Aehnlichkeit, wie Blu&#x0364;tenduft &#x017F;ich zeigen;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Der, wenn Einbildungskraft ihn walten und entfalten</l><lb/>
              <l>Sich la&#x0364;ßt, die Beiden wird zu Einem umge&#x017F;talten.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Wenn ich ein Maler wa&#x0364;r', und ha&#x0364;tt' ein Lieb ein feines,</l><lb/>
              <l>Ich malt' uns ohne Zwang als zwei zugleich und eines.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0169] Wenn auch dem Landesherrn Gott wie dem Hausherrn goͤnnte, Daß jeden Wunſch er ſo zufrieden ſtellen koͤnnte! Darum iſt ſelig nur der hoͤchſte Herr im Himmel, Weil er beſeligen kann alles Weltgewimmel. 58. Zwei, die ſich lieben, ſind einander ſo unaͤhnlich, Daß der Verſtand nicht weiß, was ſie bewegt ſo ſehnlich, Und endlich meint, daß von Unaͤhnlichkeit getrieben Sie ſey'n, einander zur Veraͤhnlichung zu lieben. Allein mit Kuͤnſtlerblick, mit liebesfaͤhigem Auge, Sieh recht die beiden an, und ihre Seelen ſauge; So ſiehſt du aus der Zuͤg' Unaͤhnlichkeiten ſteigen Geiſtige Aehnlichkeit, wie Bluͤtenduft ſich zeigen; Der, wenn Einbildungskraft ihn walten und entfalten Sich laͤßt, die Beiden wird zu Einem umgeſtalten. Wenn ich ein Maler waͤr', und haͤtt' ein Lieb ein feines, Ich malt' uns ohne Zwang als zwei zugleich und eines.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/169
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/169>, abgerufen am 18.12.2024.