Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.Durch besser Scheinen wird kein Schlechter besser werden, Doch ungestraft kann sich kein Guter schlecht geberden. Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigensinnig In dir verschließen kannst, so ist es nicht recht innig. Denn, wäre voll sein Drang, so bräch' es aus der Hülle, Wie aus der Knospe bricht der Rose Liebesfülle. Die Knospe aber, die sich dumpf verstockt, und wagt Nicht aufzugehn, ist wol im Kern vom Wurm genagt. Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Brust, So blüh auf unverzagt, dir und der Welt zur Lust! Nur nichtig ist der Schein, doch wichtig die Erscheinung, Vollkommen ist allein des Seyns und Scheins Vereinung. Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur ist gelungen, Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgestalt entsprungen. Durch beſſer Scheinen wird kein Schlechter beſſer werden, Doch ungeſtraft kann ſich kein Guter ſchlecht geberden. Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigenſinnig In dir verſchließen kannſt, ſo iſt es nicht recht innig. Denn, waͤre voll ſein Drang, ſo braͤch' es aus der Huͤlle, Wie aus der Knoſpe bricht der Roſe Liebesfuͤlle. Die Knoſpe aber, die ſich dumpf verſtockt, und wagt Nicht aufzugehn, iſt wol im Kern vom Wurm genagt. Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Bruſt, So bluͤh auf unverzagt, dir und der Welt zur Luſt! Nur nichtig iſt der Schein, doch wichtig die Erſcheinung, Vollkommen iſt allein des Seyns und Scheins Vereinung. Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur iſt gelungen, Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgeſtalt entſprungen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0263" n="253"/> <lg n="4"> <l>Durch beſſer Scheinen wird kein Schlechter beſſer werden,</l><lb/> <l>Doch ungeſtraft kann ſich kein Guter ſchlecht geberden.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigenſinnig</l><lb/> <l>In dir verſchließen kannſt, ſo iſt es nicht recht innig.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Denn, waͤre voll ſein Drang, ſo braͤch' es aus der Huͤlle,</l><lb/> <l>Wie aus der Knoſpe bricht der Roſe Liebesfuͤlle.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Die Knoſpe aber, die ſich dumpf verſtockt, und wagt</l><lb/> <l>Nicht aufzugehn, iſt wol im Kern vom Wurm genagt.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Bruſt,</l><lb/> <l>So bluͤh auf unverzagt, dir und der Welt zur Luſt!</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Nur nichtig iſt der Schein, doch wichtig die Erſcheinung,</l><lb/> <l>Vollkommen iſt allein des Seyns und Scheins Vereinung.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur iſt gelungen,</l><lb/> <l>Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgeſtalt entſprungen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [253/0263]
Durch beſſer Scheinen wird kein Schlechter beſſer werden,
Doch ungeſtraft kann ſich kein Guter ſchlecht geberden.
Wenn du mit herbem Trotz dein Gutes eigenſinnig
In dir verſchließen kannſt, ſo iſt es nicht recht innig.
Denn, waͤre voll ſein Drang, ſo braͤch' es aus der Huͤlle,
Wie aus der Knoſpe bricht der Roſe Liebesfuͤlle.
Die Knoſpe aber, die ſich dumpf verſtockt, und wagt
Nicht aufzugehn, iſt wol im Kern vom Wurm genagt.
Drum wenn kein Wurm dich nagt des Hochmuths in der Bruſt,
So bluͤh auf unverzagt, dir und der Welt zur Luſt!
Nur nichtig iſt der Schein, doch wichtig die Erſcheinung,
Vollkommen iſt allein des Seyns und Scheins Vereinung.
Mach ein Gedicht aus dir, das dann nur iſt gelungen,
Wenn aus dem Vollgehalt die Wohlgeſtalt entſprungen.
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