Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.5. Der Tod ein Schauder und Entsetzen der Natur, Dem Anblick fürchterlich, hold dem Gedanken nur. Süß ist Gestorbensein, und bitter nicht ist Sterben, Doch Sterbensehen ist der Lebenslust Verderben. Und um wie höher steht schon auf der Stufenleiter Ein Leben, um so mehr sind widerlich die Scheiter. Der Stein, lebendigtodt, ist drum sich immer gleich, Ihn macht der Tod nicht kalt, ihn macht der Tod nicht bleich. Die Blum' auch welket zwar, vom Stengel abgepflückt, Doch ist die welke noch mit Farb' und Duft geschmückt. Und jene Blüthe, die an keinem Stiel darf rasten, Der Schmetterling ist schön noch in des Sammlers Kasten. Der Vogel, dem das Herz nicht unter'm Flaum mehr klopft, Und steif den Fittig hängt, ist artig ausgestopft. Die größern Thiere, die nächst an den Menschen reichen, Sind widerwärtiger, je größer ihre Leichen. 5. Der Tod ein Schauder und Entſetzen der Natur, Dem Anblick fuͤrchterlich, hold dem Gedanken nur. Suͤß iſt Geſtorbenſein, und bitter nicht iſt Sterben, Doch Sterbenſehen iſt der Lebensluſt Verderben. Und um wie hoͤher ſteht ſchon auf der Stufenleiter Ein Leben, um ſo mehr ſind widerlich die Scheiter. Der Stein, lebendigtodt, iſt drum ſich immer gleich, Ihn macht der Tod nicht kalt, ihn macht der Tod nicht bleich. Die Blum' auch welket zwar, vom Stengel abgepfluͤckt, Doch iſt die welke noch mit Farb' und Duft geſchmuͤckt. Und jene Bluͤthe, die an keinem Stiel darf raſten, Der Schmetterling iſt ſchoͤn noch in des Sammlers Kaſten. Der Vogel, dem das Herz nicht unter'm Flaum mehr klopft, Und ſteif den Fittig haͤngt, iſt artig ausgeſtopft. Die groͤßern Thiere, die naͤchſt an den Menſchen reichen, Sind widerwaͤrtiger, je groͤßer ihre Leichen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0278" n="268"/> <div n="2"> <head>5.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der Tod ein Schauder und Entſetzen der Natur,</l><lb/> <l>Dem Anblick fuͤrchterlich, hold dem Gedanken nur.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Suͤß iſt Geſtorbenſein, und bitter nicht iſt Sterben,</l><lb/> <l>Doch Sterbenſehen iſt der Lebensluſt Verderben.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Und um wie hoͤher ſteht ſchon auf der Stufenleiter</l><lb/> <l>Ein Leben, um ſo mehr ſind widerlich die Scheiter.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Der Stein, lebendigtodt, iſt drum ſich immer gleich,</l><lb/> <l>Ihn macht der Tod nicht kalt, ihn macht der Tod nicht bleich.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Die Blum' auch welket zwar, vom Stengel abgepfluͤckt,</l><lb/> <l>Doch iſt die welke noch mit Farb' und Duft geſchmuͤckt.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und jene Bluͤthe, die an keinem Stiel darf raſten,</l><lb/> <l>Der Schmetterling iſt ſchoͤn noch in des Sammlers Kaſten.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Der Vogel, dem das Herz nicht unter'm Flaum mehr klopft,</l><lb/> <l>Und ſteif den Fittig haͤngt, iſt artig ausgeſtopft.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Die groͤßern Thiere, die naͤchſt an den Menſchen reichen,</l><lb/> <l>Sind widerwaͤrtiger, je groͤßer ihre Leichen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [268/0278]
5.
Der Tod ein Schauder und Entſetzen der Natur,
Dem Anblick fuͤrchterlich, hold dem Gedanken nur.
Suͤß iſt Geſtorbenſein, und bitter nicht iſt Sterben,
Doch Sterbenſehen iſt der Lebensluſt Verderben.
Und um wie hoͤher ſteht ſchon auf der Stufenleiter
Ein Leben, um ſo mehr ſind widerlich die Scheiter.
Der Stein, lebendigtodt, iſt drum ſich immer gleich,
Ihn macht der Tod nicht kalt, ihn macht der Tod nicht bleich.
Die Blum' auch welket zwar, vom Stengel abgepfluͤckt,
Doch iſt die welke noch mit Farb' und Duft geſchmuͤckt.
Und jene Bluͤthe, die an keinem Stiel darf raſten,
Der Schmetterling iſt ſchoͤn noch in des Sammlers Kaſten.
Der Vogel, dem das Herz nicht unter'm Flaum mehr klopft,
Und ſteif den Fittig haͤngt, iſt artig ausgeſtopft.
Die groͤßern Thiere, die naͤchſt an den Menſchen reichen,
Sind widerwaͤrtiger, je groͤßer ihre Leichen.
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