Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.88. Die dumme Fabel sagt, des Pfauen stolz Gefieder, Sieht er auf seinen Fuß, sink' ihm vor Scham danieder. Wer aber hat das Rad des Pfauen je gesehn, Und auf den Fuß gemerkt, worauf es mochte stehn? Wenn die Bewundrung nun er sieht sein Rad betrachten Und übersehn den Fuß, sollt' er ihn selbst beachten? Die Sonne, die mit Lust vom Farbenbild betrogen, Sich sieht im Pfauenrad alswie im Regenbogen, Merkt nicht, daß hier im Koth der schöne Vogel geht, Wie dort auf Erdengrund der Himmelsbogen steht. 89. Viel sind der Tugenden, doch jede ist die ganze, Wenn ächt, so wie ein Bild vom Frühling jede Pflanze. Wo eine Blume blüht, da muß der Frühling seyn, Und wo der Frühling ist, da blüht bald groß und klein. 88. Die dumme Fabel ſagt, des Pfauen ſtolz Gefieder, Sieht er auf ſeinen Fuß, ſink' ihm vor Scham danieder. Wer aber hat das Rad des Pfauen je geſehn, Und auf den Fuß gemerkt, worauf es mochte ſtehn? Wenn die Bewundrung nun er ſieht ſein Rad betrachten Und uͤberſehn den Fuß, ſollt' er ihn ſelbſt beachten? Die Sonne, die mit Luſt vom Farbenbild betrogen, Sich ſieht im Pfauenrad alswie im Regenbogen, Merkt nicht, daß hier im Koth der ſchoͤne Vogel geht, Wie dort auf Erdengrund der Himmelsbogen ſteht. 89. Viel ſind der Tugenden, doch jede iſt die ganze, Wenn aͤcht, ſo wie ein Bild vom Fruͤhling jede Pflanze. Wo eine Blume bluͤht, da muß der Fruͤhling ſeyn, Und wo der Fruͤhling iſt, da bluͤht bald groß und klein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0103" n="93"/> <div n="2"> <head>88.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die dumme Fabel ſagt, des Pfauen ſtolz Gefieder,</l><lb/> <l>Sieht er auf ſeinen Fuß, ſink' ihm vor Scham danieder.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wer aber hat das Rad des Pfauen je geſehn,</l><lb/> <l>Und auf den Fuß gemerkt, worauf es mochte ſtehn?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wenn die Bewundrung nun er ſieht ſein Rad betrachten</l><lb/> <l>Und uͤberſehn den Fuß, ſollt' er ihn ſelbſt beachten?</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Die Sonne, die mit Luſt vom Farbenbild betrogen,</l><lb/> <l>Sich ſieht im Pfauenrad alswie im Regenbogen,</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Merkt nicht, daß hier im Koth der ſchoͤne Vogel geht,</l><lb/> <l>Wie dort auf Erdengrund der Himmelsbogen ſteht.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>89.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Viel ſind der Tugenden, doch jede iſt die ganze,</l><lb/> <l>Wenn aͤcht, ſo wie ein Bild vom Fruͤhling jede Pflanze.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wo eine Blume bluͤht, da muß der Fruͤhling ſeyn,</l><lb/> <l>Und wo der Fruͤhling iſt, da bluͤht bald groß und klein.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0103]
88.
Die dumme Fabel ſagt, des Pfauen ſtolz Gefieder,
Sieht er auf ſeinen Fuß, ſink' ihm vor Scham danieder.
Wer aber hat das Rad des Pfauen je geſehn,
Und auf den Fuß gemerkt, worauf es mochte ſtehn?
Wenn die Bewundrung nun er ſieht ſein Rad betrachten
Und uͤberſehn den Fuß, ſollt' er ihn ſelbſt beachten?
Die Sonne, die mit Luſt vom Farbenbild betrogen,
Sich ſieht im Pfauenrad alswie im Regenbogen,
Merkt nicht, daß hier im Koth der ſchoͤne Vogel geht,
Wie dort auf Erdengrund der Himmelsbogen ſteht.
89.
Viel ſind der Tugenden, doch jede iſt die ganze,
Wenn aͤcht, ſo wie ein Bild vom Fruͤhling jede Pflanze.
Wo eine Blume bluͤht, da muß der Fruͤhling ſeyn,
Und wo der Fruͤhling iſt, da bluͤht bald groß und klein.
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