Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.Wie der entlaubte Baum im Winter seinen Saft Zurück aus Stamm und Zweig zog in den Wurzelschaft. So seiner Sinne Zweig' entfaltet in den Raum, Und seine Wurzel birgt in Gott des Lebens Baum. O laß die Sinne nicht sich in die Welt verirren, Um ihre Mutter, die Besinnung, zu verwirren! Vor lauter Sehen siehst du sonst nur Nebelflor, Vor lauter Hören hörst du nur den Lerm vom Chor. Doch wie der Astronom im Nebel nur den Stern, So in den Hüllen der Erscheinung sieh den Kern. Wie ein Tonkundiger den Grundton aus dem Braus Der Stimmen, höre du ihn aus der Welt heraus. Alswie ein Liebender erklärt für eine Lüge Ein Bild, an dem er nicht erblickt geliebte Züge; Denn sehenswerth ist nur am ganzen Weltgetriebe Allein der Liebe Spur, gesehn vom Blick der Liebe. Und wie der Freund dem Ruf des fernen Freundes lauscht, Ob auch des lauten Markts Getös dazwischen rauscht; Wie der entlaubte Baum im Winter ſeinen Saft Zuruͤck aus Stamm und Zweig zog in den Wurzelſchaft. So ſeiner Sinne Zweig' entfaltet in den Raum, Und ſeine Wurzel birgt in Gott des Lebens Baum. O laß die Sinne nicht ſich in die Welt verirren, Um ihre Mutter, die Beſinnung, zu verwirren! Vor lauter Sehen ſiehſt du ſonſt nur Nebelflor, Vor lauter Hoͤren hoͤrſt du nur den Lerm vom Chor. Doch wie der Aſtronom im Nebel nur den Stern, So in den Huͤllen der Erſcheinung ſieh den Kern. Wie ein Tonkundiger den Grundton aus dem Braus Der Stimmen, hoͤre du ihn aus der Welt heraus. Alswie ein Liebender erklaͤrt fuͤr eine Luͤge Ein Bild, an dem er nicht erblickt geliebte Zuͤge; Denn ſehenswerth iſt nur am ganzen Weltgetriebe Allein der Liebe Spur, geſehn vom Blick der Liebe. Und wie der Freund dem Ruf des fernen Freundes lauſcht, Ob auch des lauten Markts Getoͤs dazwiſchen rauſcht; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0153" n="143"/> <lg n="8"> <l>Wie der entlaubte Baum im Winter ſeinen Saft</l><lb/> <l>Zuruͤck aus Stamm und Zweig zog in den Wurzelſchaft.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>So ſeiner Sinne Zweig' entfaltet in den Raum,</l><lb/> <l>Und ſeine Wurzel birgt in Gott des Lebens Baum.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>O laß die Sinne nicht ſich in die Welt verirren,</l><lb/> <l>Um ihre Mutter, die Beſinnung, zu verwirren!</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Vor lauter Sehen ſiehſt du ſonſt nur Nebelflor,</l><lb/> <l>Vor lauter Hoͤren hoͤrſt du nur den Lerm vom Chor.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Doch wie der Aſtronom im Nebel nur den Stern,</l><lb/> <l>So in den Huͤllen der Erſcheinung ſieh den Kern.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Wie ein Tonkundiger den Grundton aus dem Braus</l><lb/> <l>Der Stimmen, hoͤre du ihn aus der Welt heraus.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>Alswie ein Liebender erklaͤrt fuͤr eine Luͤge</l><lb/> <l>Ein Bild, an dem er nicht erblickt geliebte Zuͤge;</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Denn ſehenswerth iſt nur am ganzen Weltgetriebe</l><lb/> <l>Allein der Liebe Spur, geſehn vom Blick der Liebe.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Und wie der Freund dem Ruf des fernen Freundes lauſcht,</l><lb/> <l>Ob auch des lauten Markts Getoͤs dazwiſchen rauſcht;</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0153]
Wie der entlaubte Baum im Winter ſeinen Saft
Zuruͤck aus Stamm und Zweig zog in den Wurzelſchaft.
So ſeiner Sinne Zweig' entfaltet in den Raum,
Und ſeine Wurzel birgt in Gott des Lebens Baum.
O laß die Sinne nicht ſich in die Welt verirren,
Um ihre Mutter, die Beſinnung, zu verwirren!
Vor lauter Sehen ſiehſt du ſonſt nur Nebelflor,
Vor lauter Hoͤren hoͤrſt du nur den Lerm vom Chor.
Doch wie der Aſtronom im Nebel nur den Stern,
So in den Huͤllen der Erſcheinung ſieh den Kern.
Wie ein Tonkundiger den Grundton aus dem Braus
Der Stimmen, hoͤre du ihn aus der Welt heraus.
Alswie ein Liebender erklaͤrt fuͤr eine Luͤge
Ein Bild, an dem er nicht erblickt geliebte Zuͤge;
Denn ſehenswerth iſt nur am ganzen Weltgetriebe
Allein der Liebe Spur, geſehn vom Blick der Liebe.
Und wie der Freund dem Ruf des fernen Freundes lauſcht,
Ob auch des lauten Markts Getoͤs dazwiſchen rauſcht;
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |