Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.94. Gar viele Geister gehn beim Menschen aus und ein, Und selber weiß er nicht, ob bös' ob gut sie seyn. Er merkt es nicht, bis sie zuletzt sich selbst verrathen, Ausbrütend im Gemüt gut' oder böse Thaten. Es war ein Nest gebaut an meines Hauses Wand Im tiefen Mauerritz hart unterm Fensterrand. Vom Boden auf zu hoch, zu tief vom Fenster oben; Was in dem Neste sei, ich konnt' es nicht erproben. Im ersten Morgengraun, im letzten Abendschimmer, Flog etwas aus und ein mir unter'n Augen immer. Doch eh ich mich besann, so war es schon vorbei, Ob es der Zwietracht Spatz, des Friedens Schwalbe sei. So bis zum Frühlingsend' erhielt sichs still im Neste, Doch um die Sommerwend' erwachten laute Gäste. Sie flogen, flatterten und schwirrten allenthalben, Und froh erkannt' ich erst, es waren junge Schwalben. 94. Gar viele Geiſter gehn beim Menſchen aus und ein, Und ſelber weiß er nicht, ob boͤſ' ob gut ſie ſeyn. Er merkt es nicht, bis ſie zuletzt ſich ſelbſt verrathen, Ausbruͤtend im Gemuͤt gut' oder boͤſe Thaten. Es war ein Neſt gebaut an meines Hauſes Wand Im tiefen Mauerritz hart unterm Fenſterrand. Vom Boden auf zu hoch, zu tief vom Fenſter oben; Was in dem Neſte ſei, ich konnt' es nicht erproben. Im erſten Morgengraun, im letzten Abendſchimmer, Flog etwas aus und ein mir unter'n Augen immer. Doch eh ich mich beſann, ſo war es ſchon vorbei, Ob es der Zwietracht Spatz, des Friedens Schwalbe ſei. So bis zum Fruͤhlingsend' erhielt ſichs ſtill im Neſte, Doch um die Sommerwend' erwachten laute Gaͤſte. Sie flogen, flatterten und ſchwirrten allenthalben, Und froh erkannt' ich erſt, es waren junge Schwalben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0204" n="194"/> <div n="2"> <head>94.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Gar viele Geiſter gehn beim Menſchen aus und ein,</l><lb/> <l>Und ſelber weiß er nicht, ob boͤſ' ob gut ſie ſeyn.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Er merkt es nicht, bis ſie zuletzt ſich ſelbſt verrathen,</l><lb/> <l>Ausbruͤtend im Gemuͤt gut' oder boͤſe Thaten.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Es war ein Neſt gebaut an meines Hauſes Wand</l><lb/> <l>Im tiefen Mauerritz hart unterm Fenſterrand.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Vom Boden auf zu hoch, zu tief vom Fenſter oben;</l><lb/> <l>Was in dem Neſte ſei, ich konnt' es nicht erproben.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Im erſten Morgengraun, im letzten Abendſchimmer,</l><lb/> <l>Flog etwas aus und ein mir unter'n Augen immer.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Doch eh ich mich beſann, ſo war es ſchon vorbei,</l><lb/> <l>Ob es der Zwietracht Spatz, des Friedens Schwalbe ſei.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>So bis zum Fruͤhlingsend' erhielt ſichs ſtill im Neſte,</l><lb/> <l>Doch um die Sommerwend' erwachten laute Gaͤſte.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Sie flogen, flatterten und ſchwirrten allenthalben,</l><lb/> <l>Und froh erkannt' ich erſt, es waren junge Schwalben.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [194/0204]
94.
Gar viele Geiſter gehn beim Menſchen aus und ein,
Und ſelber weiß er nicht, ob boͤſ' ob gut ſie ſeyn.
Er merkt es nicht, bis ſie zuletzt ſich ſelbſt verrathen,
Ausbruͤtend im Gemuͤt gut' oder boͤſe Thaten.
Es war ein Neſt gebaut an meines Hauſes Wand
Im tiefen Mauerritz hart unterm Fenſterrand.
Vom Boden auf zu hoch, zu tief vom Fenſter oben;
Was in dem Neſte ſei, ich konnt' es nicht erproben.
Im erſten Morgengraun, im letzten Abendſchimmer,
Flog etwas aus und ein mir unter'n Augen immer.
Doch eh ich mich beſann, ſo war es ſchon vorbei,
Ob es der Zwietracht Spatz, des Friedens Schwalbe ſei.
So bis zum Fruͤhlingsend' erhielt ſichs ſtill im Neſte,
Doch um die Sommerwend' erwachten laute Gaͤſte.
Sie flogen, flatterten und ſchwirrten allenthalben,
Und froh erkannt' ich erſt, es waren junge Schwalben.
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