Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.22. Den Leib, hätt' ich den Leib geliebt, mich macht' es grauen, Den von der Seele nun verlassnen Leib zu schauen. Die Seele liebten wir, doch weil im Leib wir blieben, So konnten wir auch nur geleibte Seelen lieben. Geliebte Seelen, die ihr eurem Leib entschwebtet, Ihr lebt mir, doch ihr lebt mir anders als ihr lebtet. Daß ich euch lieben könn', o kommt mich zu umwalten, Ihr könnt's, in lieblichen und leiblichen Gestalten. Laßt mich vergessen, daß ich je sah Todtenzüge! Des Lebens Schein ist wahr, der Tod ist eine Lüge. Was anders kann der Tod als gleich der Lüg' erblassen, Weil von der Wahrheit er, vom Leben, ist verlassen! 22. Den Leib, haͤtt' ich den Leib geliebt, mich macht' es grauen, Den von der Seele nun verlaſſnen Leib zu ſchauen. Die Seele liebten wir, doch weil im Leib wir blieben, So konnten wir auch nur geleibte Seelen lieben. Geliebte Seelen, die ihr eurem Leib entſchwebtet, Ihr lebt mir, doch ihr lebt mir anders als ihr lebtet. Daß ich euch lieben koͤnn', o kommt mich zu umwalten, Ihr koͤnnt's, in lieblichen und leiblichen Geſtalten. Laßt mich vergeſſen, daß ich je ſah Todtenzuͤge! Des Lebens Schein iſt wahr, der Tod iſt eine Luͤge. Was anders kann der Tod als gleich der Luͤg' erblaſſen, Weil von der Wahrheit er, vom Leben, iſt verlaſſen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0248" n="238"/> <div n="2"> <head>22.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Den Leib, haͤtt' ich den Leib geliebt, mich macht' es grauen,</l><lb/> <l>Den von der Seele nun verlaſſnen Leib zu ſchauen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Seele liebten wir, doch weil im Leib wir blieben,</l><lb/> <l>So konnten wir auch nur geleibte Seelen lieben.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Geliebte Seelen, die ihr eurem Leib entſchwebtet,</l><lb/> <l>Ihr lebt mir, doch ihr lebt mir anders als ihr lebtet.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Daß ich euch lieben koͤnn', o kommt mich zu umwalten,</l><lb/> <l>Ihr koͤnnt's, in lieblichen und leiblichen Geſtalten.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Laßt mich vergeſſen, daß ich je ſah Todtenzuͤge!</l><lb/> <l>Des Lebens Schein iſt wahr, der Tod iſt eine Luͤge.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Was anders kann der Tod als gleich der Luͤg' erblaſſen,</l><lb/> <l>Weil von der Wahrheit er, vom Leben, iſt verlaſſen!</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [238/0248]
22.
Den Leib, haͤtt' ich den Leib geliebt, mich macht' es grauen,
Den von der Seele nun verlaſſnen Leib zu ſchauen.
Die Seele liebten wir, doch weil im Leib wir blieben,
So konnten wir auch nur geleibte Seelen lieben.
Geliebte Seelen, die ihr eurem Leib entſchwebtet,
Ihr lebt mir, doch ihr lebt mir anders als ihr lebtet.
Daß ich euch lieben koͤnn', o kommt mich zu umwalten,
Ihr koͤnnt's, in lieblichen und leiblichen Geſtalten.
Laßt mich vergeſſen, daß ich je ſah Todtenzuͤge!
Des Lebens Schein iſt wahr, der Tod iſt eine Luͤge.
Was anders kann der Tod als gleich der Luͤg' erblaſſen,
Weil von der Wahrheit er, vom Leben, iſt verlaſſen!
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