Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
55.
Wo naht der süße Strom dem bittern Flutenschooße,
Begegnen sich zwei Fisch', ein kleiner und der große.
Entgegen schwimmen sie sich so auf ihrer Bahn,
Alswie von hier und dort ein Meerschiff und ein Kahn.
Und während um ihr Haupt die Wasserorgeln summen,
Begrüßen in der Flut sich laut die beiden Stummen.
Mein Vetter, ei, wohin? Mein Bruder, ei, woher?
Ich aus dem Meer ins Land. Ich aus dem Land ins Meer.
Was führet dich so fern? Was treibet dich so weit?
Der Hoffnung bessrer Stern. Die Unzufriedenheit.
Ich will ins stille Land aus Wogenaufruhr steuern,
Um zu entgehn des Meers gefräß'gen Ungeheuern.
Ich will mich aus der Eng' hinaus ins Weite fristen,
Entgehn des Menschenvolks Nachstellungen und Listen.
Das trieb dich, Vetter? Das hat, Bruder, dich gezogen?
Die Hoffnung täuschte dich. Du hast dich selbst betrogen.
55.
Wo naht der ſuͤße Strom dem bittern Flutenſchooße,
Begegnen ſich zwei Fiſch', ein kleiner und der große.
Entgegen ſchwimmen ſie ſich ſo auf ihrer Bahn,
Alswie von hier und dort ein Meerſchiff und ein Kahn.
Und waͤhrend um ihr Haupt die Waſſerorgeln ſummen,
Begruͤßen in der Flut ſich laut die beiden Stummen.
Mein Vetter, ei, wohin? Mein Bruder, ei, woher?
Ich aus dem Meer ins Land. Ich aus dem Land ins Meer.
Was fuͤhret dich ſo fern? Was treibet dich ſo weit?
Der Hoffnung beſſrer Stern. Die Unzufriedenheit.
Ich will ins ſtille Land aus Wogenaufruhr ſteuern,
Um zu entgehn des Meers gefraͤß'gen Ungeheuern.
Ich will mich aus der Eng' hinaus ins Weite friſten,
Entgehn des Menſchenvolks Nachſtellungen und Liſten.
Das trieb dich, Vetter? Das hat, Bruder, dich gezogen?
Die Hoffnung taͤuſchte dich. Du haſt dich ſelbſt betrogen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0066" n="56"/>
        <div n="2">
          <head>55.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Wo naht der &#x017F;u&#x0364;ße Strom dem bittern Fluten&#x017F;chooße,</l><lb/>
              <l>Begegnen &#x017F;ich zwei Fi&#x017F;ch', ein kleiner und der große.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Entgegen &#x017F;chwimmen &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o auf ihrer Bahn,</l><lb/>
              <l>Alswie von hier und dort ein Meer&#x017F;chiff und ein Kahn.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Und wa&#x0364;hrend um ihr Haupt die Wa&#x017F;&#x017F;erorgeln &#x017F;ummen,</l><lb/>
              <l>Begru&#x0364;ßen in der Flut &#x017F;ich laut die beiden Stummen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Mein Vetter, ei, wohin? Mein Bruder, ei, woher?</l><lb/>
              <l>Ich aus dem Meer ins Land. Ich aus dem Land ins Meer.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Was fu&#x0364;hret dich &#x017F;o fern? Was treibet dich &#x017F;o weit?</l><lb/>
              <l>Der Hoffnung be&#x017F;&#x017F;rer Stern. Die Unzufriedenheit.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Ich will ins &#x017F;tille Land aus Wogenaufruhr &#x017F;teuern,</l><lb/>
              <l>Um zu entgehn des Meers gefra&#x0364;ß'gen Ungeheuern.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Ich will mich aus der Eng' hinaus ins Weite fri&#x017F;ten,</l><lb/>
              <l>Entgehn des Men&#x017F;chenvolks Nach&#x017F;tellungen und Li&#x017F;ten.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Das trieb dich, Vetter? Das hat, Bruder, dich gezogen?</l><lb/>
              <l>Die Hoffnung ta&#x0364;u&#x017F;chte dich. Du ha&#x017F;t dich &#x017F;elb&#x017F;t betrogen.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0066] 55. Wo naht der ſuͤße Strom dem bittern Flutenſchooße, Begegnen ſich zwei Fiſch', ein kleiner und der große. Entgegen ſchwimmen ſie ſich ſo auf ihrer Bahn, Alswie von hier und dort ein Meerſchiff und ein Kahn. Und waͤhrend um ihr Haupt die Waſſerorgeln ſummen, Begruͤßen in der Flut ſich laut die beiden Stummen. Mein Vetter, ei, wohin? Mein Bruder, ei, woher? Ich aus dem Meer ins Land. Ich aus dem Land ins Meer. Was fuͤhret dich ſo fern? Was treibet dich ſo weit? Der Hoffnung beſſrer Stern. Die Unzufriedenheit. Ich will ins ſtille Land aus Wogenaufruhr ſteuern, Um zu entgehn des Meers gefraͤß'gen Ungeheuern. Ich will mich aus der Eng' hinaus ins Weite friſten, Entgehn des Menſchenvolks Nachſtellungen und Liſten. Das trieb dich, Vetter? Das hat, Bruder, dich gezogen? Die Hoffnung taͤuſchte dich. Du haſt dich ſelbſt betrogen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/66
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/66>, abgerufen am 27.11.2024.