Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.Auf andrer Grundlag' aufgeführt ein andrer Bau Des Lebens, eingeweiht zu andrer Geister Schau; Die etwas geist'ges thun, das unserm Denken gleicht, Vielleicht es übertrifft, vielleicht es nicht erreicht. Er denkt in seiner Sfär' alswie in deiner du; Und ohne daß ihrs denkt, denkt ihr einander zu. Und wenn mit Geisteskraft er seinen Kreis durchdrungen, Und du an deinem Theil den deinigen bezwungen; Dann werdet an der Grenz' ihr aneinander reichen, Um mit Gedanken euch ergänzend auszugleichen: Alswie zwei Völker lang' in sich gesondert leben, Zuletzt gemeinschaftlich in Eins zusammenstreben. Denn wol auch Völker sind von eignen Grundanlagen, Vergleichbar eigenem Planetenbau, getragen, Aus eignem Wurzelstock, mit eignen Stammgeberden Erwachsend, fähig doch als Menschen gleich zu werden. So hoff' ich, daß wenn Zeit genug der ew'gen Urne
Entfloß, die Erde tritt in Tausch mit dem Saturne. Auf andrer Grundlag' aufgefuͤhrt ein andrer Bau Des Lebens, eingeweiht zu andrer Geiſter Schau; Die etwas geiſt'ges thun, das unſerm Denken gleicht, Vielleicht es uͤbertrifft, vielleicht es nicht erreicht. Er denkt in ſeiner Sfaͤr' alswie in deiner du; Und ohne daß ihrs denkt, denkt ihr einander zu. Und wenn mit Geiſteskraft er ſeinen Kreis durchdrungen, Und du an deinem Theil den deinigen bezwungen; Dann werdet an der Grenz' ihr aneinander reichen, Um mit Gedanken euch ergaͤnzend auszugleichen: Alswie zwei Voͤlker lang' in ſich geſondert leben, Zuletzt gemeinſchaftlich in Eins zuſammenſtreben. Denn wol auch Voͤlker ſind von eignen Grundanlagen, Vergleichbar eigenem Planetenbau, getragen, Aus eignem Wurzelſtock, mit eignen Stammgeberden Erwachſend, faͤhig doch als Menſchen gleich zu werden. So hoff' ich, daß wenn Zeit genug der ew'gen Urne
Entfloß, die Erde tritt in Tauſch mit dem Saturne. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0150" n="140"/> </l> <lg n="3"> <l>Auf andrer Grundlag' aufgefuͤhrt ein andrer Bau</l><lb/> <l>Des Lebens, eingeweiht zu andrer Geiſter Schau;</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Die etwas geiſt'ges thun, das unſerm Denken gleicht,</l><lb/> <l>Vielleicht es uͤbertrifft, vielleicht es nicht erreicht.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Er denkt in ſeiner Sfaͤr' alswie in deiner du;</l><lb/> <l>Und ohne daß ihrs denkt, denkt ihr einander zu.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und wenn mit Geiſteskraft er ſeinen Kreis durchdrungen,</l><lb/> <l>Und du an deinem Theil den deinigen bezwungen;</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Dann werdet an der Grenz' ihr aneinander reichen,</l><lb/> <l>Um mit Gedanken euch ergaͤnzend auszugleichen:</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Alswie zwei Voͤlker lang' in ſich geſondert leben,</l><lb/> <l>Zuletzt gemeinſchaftlich in Eins zuſammenſtreben.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Denn wol auch Voͤlker ſind von eignen Grundanlagen,</l><lb/> <l>Vergleichbar eigenem Planetenbau, getragen,</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Aus eignem Wurzelſtock, mit eignen Stammgeberden</l><lb/> <l>Erwachſend, faͤhig doch als Menſchen gleich zu werden.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>So hoff' ich, daß wenn Zeit genug der ew'gen Urne</l><lb/> <l>Entfloß, die Erde tritt in Tauſch mit dem Saturne.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0150]
Auf andrer Grundlag' aufgefuͤhrt ein andrer Bau
Des Lebens, eingeweiht zu andrer Geiſter Schau;
Die etwas geiſt'ges thun, das unſerm Denken gleicht,
Vielleicht es uͤbertrifft, vielleicht es nicht erreicht.
Er denkt in ſeiner Sfaͤr' alswie in deiner du;
Und ohne daß ihrs denkt, denkt ihr einander zu.
Und wenn mit Geiſteskraft er ſeinen Kreis durchdrungen,
Und du an deinem Theil den deinigen bezwungen;
Dann werdet an der Grenz' ihr aneinander reichen,
Um mit Gedanken euch ergaͤnzend auszugleichen:
Alswie zwei Voͤlker lang' in ſich geſondert leben,
Zuletzt gemeinſchaftlich in Eins zuſammenſtreben.
Denn wol auch Voͤlker ſind von eignen Grundanlagen,
Vergleichbar eigenem Planetenbau, getragen,
Aus eignem Wurzelſtock, mit eignen Stammgeberden
Erwachſend, faͤhig doch als Menſchen gleich zu werden.
So hoff' ich, daß wenn Zeit genug der ew'gen Urne
Entfloß, die Erde tritt in Tauſch mit dem Saturne.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane06_1839/150>, abgerufen am 16.07.2024. |