Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.16. Du unbeschriebnes Blatt, nun komm' und sei beschrieben Der Tochter meines Freunds, ich darf es nicht verschieben. Ein unbeschriebnes Blatt ist jugendlicher Sinn; Viel Schönes, Gutes drauf zu schreiben ist Gewinn. Ein fleckenloses Blatt ist jungfräuliches Herz; Nie furche drein die Schrift von Leidenschaft und Schmerz! Schreib fein bedächtig so daß nichts sei auszustreichen; Ein ausgestrichnes Wort ist ein entstellend Zeichen. Ein Zug, der blaß erlischt, wird leichter angefrischt, Ein fehlgeschriebner wird nie gründlich weggewischt. Vom Messerchen, wie fein es kratzte, bleibt die Spur, Und nie wirds glatt, ob man mit Bimsstein drüber fuhr. Was neu darauf man schreibt, das wird undeutlich fließen, Und immer drunter wird hervor das Alte sprießen. Beglückt ist, wem ein Gott ins Buch des Lebens schrieb, Was neu ist lieb und hold, und alt bleibt hold und lieb! 16. Du unbeſchriebnes Blatt, nun komm' und ſei beſchrieben Der Tochter meines Freunds, ich darf es nicht verſchieben. Ein unbeſchriebnes Blatt iſt jugendlicher Sinn; Viel Schoͤnes, Gutes drauf zu ſchreiben iſt Gewinn. Ein fleckenloſes Blatt iſt jungfraͤuliches Herz; Nie furche drein die Schrift von Leidenſchaft und Schmerz! Schreib fein bedaͤchtig ſo daß nichts ſei auszuſtreichen; Ein ausgeſtrichnes Wort iſt ein entſtellend Zeichen. Ein Zug, der blaß erliſcht, wird leichter angefriſcht, Ein fehlgeſchriebner wird nie gruͤndlich weggewiſcht. Vom Meſſerchen, wie fein es kratzte, bleibt die Spur, Und nie wirds glatt, ob man mit Bimsſtein druͤber fuhr. Was neu darauf man ſchreibt, das wird undeutlich fließen, Und immer drunter wird hervor das Alte ſprießen. Begluͤckt iſt, wem ein Gott ins Buch des Lebens ſchrieb, Was neu iſt lieb und hold, und alt bleibt hold und lieb! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0288" n="278"/> <div n="2"> <head>16.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Du unbeſchriebnes Blatt, nun komm' und ſei beſchrieben</l><lb/> <l>Der Tochter meines Freunds, ich darf es nicht verſchieben.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ein unbeſchriebnes Blatt iſt jugendlicher Sinn;</l><lb/> <l>Viel Schoͤnes, Gutes drauf zu ſchreiben iſt Gewinn.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ein fleckenloſes Blatt iſt jungfraͤuliches Herz;</l><lb/> <l>Nie furche drein die Schrift von Leidenſchaft und Schmerz!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Schreib fein bedaͤchtig ſo daß nichts ſei auszuſtreichen;</l><lb/> <l>Ein ausgeſtrichnes Wort iſt ein entſtellend Zeichen.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Ein Zug, der blaß erliſcht, wird leichter angefriſcht,</l><lb/> <l>Ein fehlgeſchriebner wird nie gruͤndlich weggewiſcht.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Vom Meſſerchen, wie fein es kratzte, bleibt die Spur,</l><lb/> <l>Und nie wirds glatt, ob man mit Bimsſtein druͤber fuhr.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Was neu darauf man ſchreibt, das wird undeutlich fließen,</l><lb/> <l>Und immer drunter wird hervor das Alte ſprießen.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Begluͤckt iſt, wem ein Gott ins Buch des Lebens ſchrieb,</l><lb/> <l>Was neu iſt lieb und hold, und alt bleibt hold und lieb!</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [278/0288]
16.
Du unbeſchriebnes Blatt, nun komm' und ſei beſchrieben
Der Tochter meines Freunds, ich darf es nicht verſchieben.
Ein unbeſchriebnes Blatt iſt jugendlicher Sinn;
Viel Schoͤnes, Gutes drauf zu ſchreiben iſt Gewinn.
Ein fleckenloſes Blatt iſt jungfraͤuliches Herz;
Nie furche drein die Schrift von Leidenſchaft und Schmerz!
Schreib fein bedaͤchtig ſo daß nichts ſei auszuſtreichen;
Ein ausgeſtrichnes Wort iſt ein entſtellend Zeichen.
Ein Zug, der blaß erliſcht, wird leichter angefriſcht,
Ein fehlgeſchriebner wird nie gruͤndlich weggewiſcht.
Vom Meſſerchen, wie fein es kratzte, bleibt die Spur,
Und nie wirds glatt, ob man mit Bimsſtein druͤber fuhr.
Was neu darauf man ſchreibt, das wird undeutlich fließen,
Und immer drunter wird hervor das Alte ſprießen.
Begluͤckt iſt, wem ein Gott ins Buch des Lebens ſchrieb,
Was neu iſt lieb und hold, und alt bleibt hold und lieb!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |