zunächst in der Baukunst, wo diese Foderungen einleuchtend wegfallen; in den Werken aber der darstellenden Künste vor- nehmlich in solchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar- stellung gleichgültig sind und mehr durch ein allgemeines Be- dürfniß der Füllung des Leeren herbeygezogen werden.
Wie die Vertheilung und Anordnung solcher Dinge auch in den darstellenden Künsten an und für sich, je nachdem sie wild und verworren, oder gemäßigt und beruhigend ausgefal- len, einen Vorzug, oder Mangel begründe, sehen wir bald in geistreichen und verdienstlichen Kunstwerken, denen, gleich den meisten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinstimmung fehlt; bald wieder in minder verdienstlichen, ja geistlosen, welche, gleich geringeren Antiken, oder mäßig wohlgedachten Malereyen des italienischen Mittelalters, ihrer sonstigen Män- gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunstvortheil in überraschender Völligkeit darlegen. In größter Vollkommenheit indeß werden wir den allgemeinen Styl in den besten Bildwerken des Alter- thumes wahrnehmen können, oder in den Gemälden der mitt- leren Laufbahn Raphaels und seiner vorzüglichsten Zeitgenossen. Obwohl auch aus diesen keinesweges ein allgemeines Gesetz bildnerischer, oder malerischer Anordnung abzuleiten ist, da mit jedem neuen Verhältniß auch neue Foderungen eintreten, so daß, was dort galt, hier schon nicht mehr anwendbar ist. Sind nun die Künstler in dieser Beziehung ganz auf Sinn und Gefühl angewiesen, so müssen sie auf alle Weise Bedacht nehmen, diese Fähigkeiten durch Prüfung und Unterscheidung des Musterhaften und Fehlerhaften zu schärfen; um so mehr, da die modernen Kunstbegriffe der Composition und Gruppi- rung, welche offenbar aus einer unbestimmten Wahrnehmung
zunaͤchſt in der Baukunſt, wo dieſe Foderungen einleuchtend wegfallen; in den Werken aber der darſtellenden Kuͤnſte vor- nehmlich in ſolchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar- ſtellung gleichguͤltig ſind und mehr durch ein allgemeines Be- duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden.
Wie die Vertheilung und Anordnung ſolcher Dinge auch in den darſtellenden Kuͤnſten an und fuͤr ſich, je nachdem ſie wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal- len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, ſehen wir bald in geiſtreichen und verdienſtlichen Kunſtwerken, denen, gleich den meiſten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinſtimmung fehlt; bald wieder in minder verdienſtlichen, ja geiſtloſen, welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten Malereyen des italieniſchen Mittelalters, ihrer ſonſtigen Maͤn- gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunſtvortheil in uͤberraſchender Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden wir den allgemeinen Styl in den beſten Bildwerken des Alter- thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt- leren Laufbahn Raphaels und ſeiner vorzuͤglichſten Zeitgenoſſen. Obwohl auch aus dieſen keinesweges ein allgemeines Geſetz bildneriſcher, oder maleriſcher Anordnung abzuleiten iſt, da mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten, ſo daß, was dort galt, hier ſchon nicht mehr anwendbar iſt. Sind nun die Kuͤnſtler in dieſer Beziehung ganz auf Sinn und Gefuͤhl angewieſen, ſo muͤſſen ſie auf alle Weiſe Bedacht nehmen, dieſe Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterſcheidung des Muſterhaften und Fehlerhaften zu ſchaͤrfen; um ſo mehr, da die modernen Kunſtbegriffe der Compoſition und Gruppi- rung, welche offenbar aus einer unbeſtimmten Wahrnehmung
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zunaͤchſt in der Baukunſt, wo dieſe Foderungen einleuchtend
wegfallen; in den Werken aber der darſtellenden Kuͤnſte vor-
nehmlich in ſolchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar-
ſtellung gleichguͤltig ſind und mehr durch ein allgemeines Be-
duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden.
Wie die Vertheilung und Anordnung ſolcher Dinge auch
in den darſtellenden Kuͤnſten an und fuͤr ſich, je nachdem ſie
wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal-
len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, ſehen wir bald
in geiſtreichen und verdienſtlichen Kunſtwerken, denen, gleich
den meiſten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinſtimmung
fehlt; bald wieder in minder verdienſtlichen, ja geiſtloſen,
welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten
Malereyen des italieniſchen Mittelalters, ihrer ſonſtigen Maͤn-
gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunſtvortheil in uͤberraſchender
Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden
wir den allgemeinen Styl in den beſten Bildwerken des Alter-
thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt-
leren Laufbahn Raphaels und ſeiner vorzuͤglichſten Zeitgenoſſen.
Obwohl auch aus dieſen keinesweges ein allgemeines Geſetz
bildneriſcher, oder maleriſcher Anordnung abzuleiten iſt, da
mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten,
ſo daß, was dort galt, hier ſchon nicht mehr anwendbar iſt.
Sind nun die Kuͤnſtler in dieſer Beziehung ganz auf Sinn
und Gefuͤhl angewieſen, ſo muͤſſen ſie auf alle Weiſe Bedacht
nehmen, dieſe Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterſcheidung
des Muſterhaften und Fehlerhaften zu ſchaͤrfen; um ſo mehr,
da die modernen Kunſtbegriffe der Compoſition und Gruppi-
rung, welche offenbar aus einer unbeſtimmten Wahrnehmung
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/107>, abgerufen am 28.11.2024.
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