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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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einer bestimmteren Bedeutung streben, bald an das Edle der
Richtung, oder des Gegenstandes, bald wieder an Eigenthüm-
lichkeiten der Künstler sich anschließen, so werde ich um so
mehr auf Nachsicht zählen dürfen, wenn ich dasselbe als bie-
sterfrey angesehen und gewagt, ihm einen Sinn unterzulegen,
dem es auch von dem Worte abgesehen, gewiß nicht an inne-
rer Begründung fehlt.

Doch muß ich einräumen, daß, wie bey feyerlichen Hand-
lungen Ordnung und Anstand, so auch bey künstlerischen Dar-

als der Gebrauch altdorischer Tempelbaukunst, so bin ich doch, erst
seitdem ich sie zum ersten Male als eingeordnet in einen gegebenen
Raum gedacht, mit dem Zwange ihrer Stellungen versöhnt wor-
den. Der herrliche Discobol des Vaticans (an sich selbst ein Aus-
nahmefall) überschreitet übrigens auch in seiner Bewegung (ohne
welche er überhaupt nicht denkbar wäre) nirgend dasjenige Gleich-
gewicht, jene äußerlichste Symmetrie, welche mir für Bedingung
wohlgefälliger Erscheinung plastischer Darstellungen gilt. Eben an
einer solchen Klippe, welche die Bildnerey des Alterthumes meist
vermieden, zeigt sich die Ausbildung ihres Stylsinnes in ihrem
glänzendsten Lichte. -- In Gruppen, wie im Toro Farnese, ist aber
diese Qualität des Styles nicht in den einzelnen Gestalten, die
sie enthalten, sondern in ihrer Zusammenordnung, in der Gesammt-
gestalt der Gruppe aufzusuchen. -- Wenn aber mein Gegner (in
diesem einen Wortsinn) in seiner letzten Erklärung die Besorgniß
äußert, daß der Stylbegriff, den ich oben näher zu entwickeln ver-
sucht, zur Manier und zum Conventionellen führen möchte, so
entstehet solche unstreitig nur daher, daß ich mich früher nur ge-
legentlich und nicht vollständig genug ausgesprochen. Und vielleicht
wird auch obige Entwickelung nur denen genügen, welche ihre Män-
gel und Auslassungen aus eigener Kunde sich ergänzen können. Von
verschiedenen Seiten, und namentlich durch Hrn. Dr. Schorn,
wird meinem künstlerischen Stylbegriffe der rhetorische entgegenge-
setzt. Ich habe bereits gezeigt, daß der künstlerische Stylbegriff
aus einem andern, obwohl verwandten Grundbilde entstanden ist,
als der rhetorische; überdieß wird dieser letzte wohl so leicht mit

einer beſtimmteren Bedeutung ſtreben, bald an das Edle der
Richtung, oder des Gegenſtandes, bald wieder an Eigenthuͤm-
lichkeiten der Kuͤnſtler ſich anſchließen, ſo werde ich um ſo
mehr auf Nachſicht zaͤhlen duͤrfen, wenn ich daſſelbe als bie-
ſterfrey angeſehen und gewagt, ihm einen Sinn unterzulegen,
dem es auch von dem Worte abgeſehen, gewiß nicht an inne-
rer Begruͤndung fehlt.

Doch muß ich einraͤumen, daß, wie bey feyerlichen Hand-
lungen Ordnung und Anſtand, ſo auch bey kuͤnſtleriſchen Dar-

als der Gebrauch altdoriſcher Tempelbaukunſt, ſo bin ich doch, erſt
ſeitdem ich ſie zum erſten Male als eingeordnet in einen gegebenen
Raum gedacht, mit dem Zwange ihrer Stellungen verſoͤhnt wor-
den. Der herrliche Discobol des Vaticans (an ſich ſelbſt ein Aus-
nahmefall) uͤberſchreitet uͤbrigens auch in ſeiner Bewegung (ohne
welche er uͤberhaupt nicht denkbar waͤre) nirgend dasjenige Gleich-
gewicht, jene aͤußerlichſte Symmetrie, welche mir fuͤr Bedingung
wohlgefaͤlliger Erſcheinung plaſtiſcher Darſtellungen gilt. Eben an
einer ſolchen Klippe, welche die Bildnerey des Alterthumes meiſt
vermieden, zeigt ſich die Ausbildung ihres Stylſinnes in ihrem
glaͤnzendſten Lichte. — In Gruppen, wie im Toro Farneſe, iſt aber
dieſe Qualitaͤt des Styles nicht in den einzelnen Geſtalten, die
ſie enthalten, ſondern in ihrer Zuſammenordnung, in der Geſammt-
geſtalt der Gruppe aufzuſuchen. — Wenn aber mein Gegner (in
dieſem einen Wortſinn) in ſeiner letzten Erklaͤrung die Beſorgniß
aͤußert, daß der Stylbegriff, den ich oben naͤher zu entwickeln ver-
ſucht, zur Manier und zum Conventionellen fuͤhren moͤchte, ſo
entſtehet ſolche unſtreitig nur daher, daß ich mich fruͤher nur ge-
legentlich und nicht vollſtaͤndig genug ausgeſprochen. Und vielleicht
wird auch obige Entwickelung nur denen genuͤgen, welche ihre Maͤn-
gel und Auslaſſungen aus eigener Kunde ſich ergaͤnzen koͤnnen. Von
verſchiedenen Seiten, und namentlich durch Hrn. Dr. Schorn,
wird meinem kuͤnſtleriſchen Stylbegriffe der rhetoriſche entgegenge-
ſetzt. Ich habe bereits gezeigt, daß der kuͤnſtleriſche Stylbegriff
aus einem andern, obwohl verwandten Grundbilde entſtanden iſt,
als der rhetoriſche; uͤberdieß wird dieſer letzte wohl ſo leicht mit
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[102/0120] einer beſtimmteren Bedeutung ſtreben, bald an das Edle der Richtung, oder des Gegenſtandes, bald wieder an Eigenthuͤm- lichkeiten der Kuͤnſtler ſich anſchließen, ſo werde ich um ſo mehr auf Nachſicht zaͤhlen duͤrfen, wenn ich daſſelbe als bie- ſterfrey angeſehen und gewagt, ihm einen Sinn unterzulegen, dem es auch von dem Worte abgeſehen, gewiß nicht an inne- rer Begruͤndung fehlt. Doch muß ich einraͤumen, daß, wie bey feyerlichen Hand- lungen Ordnung und Anſtand, ſo auch bey kuͤnſtleriſchen Dar- *) *) als der Gebrauch altdoriſcher Tempelbaukunſt, ſo bin ich doch, erſt ſeitdem ich ſie zum erſten Male als eingeordnet in einen gegebenen Raum gedacht, mit dem Zwange ihrer Stellungen verſoͤhnt wor- den. Der herrliche Discobol des Vaticans (an ſich ſelbſt ein Aus- nahmefall) uͤberſchreitet uͤbrigens auch in ſeiner Bewegung (ohne welche er uͤberhaupt nicht denkbar waͤre) nirgend dasjenige Gleich- gewicht, jene aͤußerlichſte Symmetrie, welche mir fuͤr Bedingung wohlgefaͤlliger Erſcheinung plaſtiſcher Darſtellungen gilt. Eben an einer ſolchen Klippe, welche die Bildnerey des Alterthumes meiſt vermieden, zeigt ſich die Ausbildung ihres Stylſinnes in ihrem glaͤnzendſten Lichte. — In Gruppen, wie im Toro Farneſe, iſt aber dieſe Qualitaͤt des Styles nicht in den einzelnen Geſtalten, die ſie enthalten, ſondern in ihrer Zuſammenordnung, in der Geſammt- geſtalt der Gruppe aufzuſuchen. — Wenn aber mein Gegner (in dieſem einen Wortſinn) in ſeiner letzten Erklaͤrung die Beſorgniß aͤußert, daß der Stylbegriff, den ich oben naͤher zu entwickeln ver- ſucht, zur Manier und zum Conventionellen fuͤhren moͤchte, ſo entſtehet ſolche unſtreitig nur daher, daß ich mich fruͤher nur ge- legentlich und nicht vollſtaͤndig genug ausgeſprochen. Und vielleicht wird auch obige Entwickelung nur denen genuͤgen, welche ihre Maͤn- gel und Auslaſſungen aus eigener Kunde ſich ergaͤnzen koͤnnen. Von verſchiedenen Seiten, und namentlich durch Hrn. Dr. Schorn, wird meinem kuͤnſtleriſchen Stylbegriffe der rhetoriſche entgegenge- ſetzt. Ich habe bereits gezeigt, daß der kuͤnſtleriſche Stylbegriff aus einem andern, obwohl verwandten Grundbilde entſtanden iſt, als der rhetoriſche; uͤberdieß wird dieſer letzte wohl ſo leicht mit

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/120>, abgerufen am 30.11.2024.