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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Vorstellung wahrzunehmen glaubt, welche man daher für mu-
sterhaft ansieht und der Nachahmung empfiehlt, etwa unter
den Leistungen der antiken Kunst das Beste sind, oder was
uns gleichbedeutend seyn sollte, den Alten selbst für das Beste
gegolten haben.

So weit die Ansicht, welche die Kunst des Alterthumes
im Ganzen beherrschte, überhaupt aus den abgerissenen An-
deutungen der Schriftsteller zu ergänzen ist, zeigt sich nichts,
woraus zu schließen wäre, daß die Alten jemals Geist und
Gefühl des Künstlers, Sinn und Bedeutung der Aufgabe,
Charakter und Lebendigkeit der Darstellung einem allgemeinen
beziehungslosen Begriffe der Schönheit untergeordnet haben *).
Freylich wohnt die Blüthe menschlicher Schönheit in jener
Jugendlichkeit und Lebensfülle, welche in ihren Kunstgestal-
tungen vorherrscht; wo ist aber die Aeußerung, welche uns
berechtigen dürfte, anzunehmen, dieses frische Jugendleben hel-
lenischer Kunst sey aus pedantischen Grundsätzen **), nicht

*) Winckelmann und sein Jahrh. S. 281. -- "Weil es
sich aber darthun läßt, daß die schönen Formen nicht der Haupt-
zweck
der griechischen Kunst waren, sondern sie sich nur aus dem
Geiste derselben entwickelten, als nothwendige Mittel zum Aus-
druck schöner Gedanken." Weshalb steht diese der Sache nach so
richtige Bemerkung, statt wie hier nur eingeschaltet und gleichsam
entglitten zu seyn, nicht lieber an der Spitze irgend einer Kunst-
lebre? -- Würde sie nicht mit Consequenz angewendet, die ganze
Lehre von äußerlicher Aneignung antiker Kunstformen umwerfen?
**) Gleich jenen, welche Lessing Laokoon, §. 2. aus einer
Stelle Aelians hervordeutet, var. hist. lib. IV. c. 4., wo es heißt:
akouo keisthai nomon Thebesi prostattonta tois tekhnitais, kai tois
graphikois, kai tois plastikois, eis to kreitton tas eikonas mimeis-
thai; apeilei de o nomos tois eis to kheiron pote, e plasasin, e
grapsasi, zemian to timema dran. -- Lessing erklärt diese

Vorſtellung wahrzunehmen glaubt, welche man daher fuͤr mu-
ſterhaft anſieht und der Nachahmung empfiehlt, etwa unter
den Leiſtungen der antiken Kunſt das Beſte ſind, oder was
uns gleichbedeutend ſeyn ſollte, den Alten ſelbſt fuͤr das Beſte
gegolten haben.

So weit die Anſicht, welche die Kunſt des Alterthumes
im Ganzen beherrſchte, uͤberhaupt aus den abgeriſſenen An-
deutungen der Schriftſteller zu ergaͤnzen iſt, zeigt ſich nichts,
woraus zu ſchließen waͤre, daß die Alten jemals Geiſt und
Gefuͤhl des Kuͤnſtlers, Sinn und Bedeutung der Aufgabe,
Charakter und Lebendigkeit der Darſtellung einem allgemeinen
beziehungsloſen Begriffe der Schoͤnheit untergeordnet haben *).
Freylich wohnt die Bluͤthe menſchlicher Schoͤnheit in jener
Jugendlichkeit und Lebensfuͤlle, welche in ihren Kunſtgeſtal-
tungen vorherrſcht; wo iſt aber die Aeußerung, welche uns
berechtigen duͤrfte, anzunehmen, dieſes friſche Jugendleben hel-
leniſcher Kunſt ſey aus pedantiſchen Grundſaͤtzen **), nicht

*) Winckelmann und ſein Jahrh. S. 281. — „Weil es
ſich aber darthun laͤßt, daß die ſchoͤnen Formen nicht der Haupt-
zweck
der griechiſchen Kunſt waren, ſondern ſie ſich nur aus dem
Geiſte derſelben entwickelten, als nothwendige Mittel zum Aus-
druck ſchoͤner Gedanken.“ Weshalb ſteht dieſe der Sache nach ſo
richtige Bemerkung, ſtatt wie hier nur eingeſchaltet und gleichſam
entglitten zu ſeyn, nicht lieber an der Spitze irgend einer Kunſt-
lebre? — Wuͤrde ſie nicht mit Conſequenz angewendet, die ganze
Lehre von aͤußerlicher Aneignung antiker Kunſtformen umwerfen?
**) Gleich jenen, welche Leſſing Laokoon, §. 2. aus einer
Stelle Aelians hervordeutet, var. hist. lib. IV. c. 4., wo es heißt:
ἀκούω κεῖσϑαι νόμον Θήβησι πϱοςτάττοντα τοῖς τεχνίταις, καὶ τοῖς
γϱαφικοῖς, καὶ τοῖς πλαστικοῖς, εἰς τὸ κϱεῖττον τὰς ἐικόνας μιμεῖς-
ϑαι· ἀπειλεῖ δε ὸ νόμος τοῖς εἰς τὸ χεῖϱον ποτὲ, ἢ πλάσασιν, ἢ
γϱάψασι, ζημίαν τὸ τίμημα δϱᾶν. — Leſſing erklaͤrt dieſe
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[108/0126] Vorſtellung wahrzunehmen glaubt, welche man daher fuͤr mu- ſterhaft anſieht und der Nachahmung empfiehlt, etwa unter den Leiſtungen der antiken Kunſt das Beſte ſind, oder was uns gleichbedeutend ſeyn ſollte, den Alten ſelbſt fuͤr das Beſte gegolten haben. So weit die Anſicht, welche die Kunſt des Alterthumes im Ganzen beherrſchte, uͤberhaupt aus den abgeriſſenen An- deutungen der Schriftſteller zu ergaͤnzen iſt, zeigt ſich nichts, woraus zu ſchließen waͤre, daß die Alten jemals Geiſt und Gefuͤhl des Kuͤnſtlers, Sinn und Bedeutung der Aufgabe, Charakter und Lebendigkeit der Darſtellung einem allgemeinen beziehungsloſen Begriffe der Schoͤnheit untergeordnet haben *). Freylich wohnt die Bluͤthe menſchlicher Schoͤnheit in jener Jugendlichkeit und Lebensfuͤlle, welche in ihren Kunſtgeſtal- tungen vorherrſcht; wo iſt aber die Aeußerung, welche uns berechtigen duͤrfte, anzunehmen, dieſes friſche Jugendleben hel- leniſcher Kunſt ſey aus pedantiſchen Grundſaͤtzen **), nicht *) Winckelmann und ſein Jahrh. S. 281. — „Weil es ſich aber darthun laͤßt, daß die ſchoͤnen Formen nicht der Haupt- zweck der griechiſchen Kunſt waren, ſondern ſie ſich nur aus dem Geiſte derſelben entwickelten, als nothwendige Mittel zum Aus- druck ſchoͤner Gedanken.“ Weshalb ſteht dieſe der Sache nach ſo richtige Bemerkung, ſtatt wie hier nur eingeſchaltet und gleichſam entglitten zu ſeyn, nicht lieber an der Spitze irgend einer Kunſt- lebre? — Wuͤrde ſie nicht mit Conſequenz angewendet, die ganze Lehre von aͤußerlicher Aneignung antiker Kunſtformen umwerfen? **) Gleich jenen, welche Leſſing Laokoon, §. 2. aus einer Stelle Aelians hervordeutet, var. hist. lib. IV. c. 4., wo es heißt: ἀκούω κεῖσϑαι νόμον Θήβησι πϱοςτάττοντα τοῖς τεχνίταις, καὶ τοῖς γϱαφικοῖς, καὶ τοῖς πλαστικοῖς, εἰς τὸ κϱεῖττον τὰς ἐικόνας μιμεῖς- ϑαι· ἀπειλεῖ δε ὸ νόμος τοῖς εἰς τὸ χεῖϱον ποτὲ, ἢ πλάσασιν, ἢ γϱάψασι, ζημίαν τὸ τίμημα δϱᾶν. — Leſſing erklaͤrt dieſe

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/126>, abgerufen am 26.11.2024.