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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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verdienst, in Vergleich aber mit gleichzeitigen Arbeiten der
Italiener wahre Meisterstücke sind. Ueberhaupt ist die Unge-
schicklichkeit und der rohe Sinn italienischer Künstler des neun-
ten bis zwölften Jahrhunderts, oder des Zeitraumes, der uns
gegenwärtig beschäftigen soll, durchaus unvergleichbar mit an-
deren Erscheinungen der Kunsthistorie. Sogar die rohesten
Völker des Nordens zeigen in ihren Kunstarbeiten verhältniß-
mäßig einige Nettigkeit und Sicherheit der Hand; nur die
Larven aus Baumrinde, welche von brasilianischen Reisenden
in unsere Museen eingeführt worden, stimmen in der schwan-
kenden Angabe der Züge, vornehmlich der Augen und Nasen,
mit den Ungeheuern überein, deren Entstehung wir geschicht-
lich verfolgen, deren Charakter wir andeuten wollen, ohne uns
zu lange dabey aufzuhalten. Allein, daß unter dem italieni-
schen Himmel, inmitten einer so herrlichen Natur und zahlrei-
cher Vorbilder, bey einem Cultus, welcher den Bildern eine
ehrenvolle Stelle anwies, nicht mehr, nicht Besseres geleistet
wurde, als in den brasilianischen Sümpfen von einem halb-
thierischen Geschlechte, erinnert uns, daß die Entwickelung
menschlicher Fähigkeiten mehr, als wir wünschen und zu glau-
ben geneigt sind, von äußeren Umständen abhängt, welche
wir mithin, so viel an uns liegt, zu bemeistern bemüht
seyn müssen.

Die rüstigen Unternehmungen Hadrians und Leos III.
versprachen allerdings, wie wir oben gesehen, eine ganz andere
Wendung, als diese, deren Stufenfolge und Dauer wir nun-
mehr bis zum ersten Aufdämmern eines neuen Tages verfolgen
wollen. Doch werden wir zunächst versuchen müssen, in den
allgemeineren Verhältnissen des Volkes die Ursachen einer so
ganz beyspiellosen Erscheinung aufzufinden.


verdienſt, in Vergleich aber mit gleichzeitigen Arbeiten der
Italiener wahre Meiſterſtuͤcke ſind. Ueberhaupt iſt die Unge-
ſchicklichkeit und der rohe Sinn italieniſcher Kuͤnſtler des neun-
ten bis zwoͤlften Jahrhunderts, oder des Zeitraumes, der uns
gegenwaͤrtig beſchaͤftigen ſoll, durchaus unvergleichbar mit an-
deren Erſcheinungen der Kunſthiſtorie. Sogar die roheſten
Voͤlker des Nordens zeigen in ihren Kunſtarbeiten verhaͤltniß-
maͤßig einige Nettigkeit und Sicherheit der Hand; nur die
Larven aus Baumrinde, welche von braſilianiſchen Reiſenden
in unſere Muſeen eingefuͤhrt worden, ſtimmen in der ſchwan-
kenden Angabe der Zuͤge, vornehmlich der Augen und Naſen,
mit den Ungeheuern uͤberein, deren Entſtehung wir geſchicht-
lich verfolgen, deren Charakter wir andeuten wollen, ohne uns
zu lange dabey aufzuhalten. Allein, daß unter dem italieni-
ſchen Himmel, inmitten einer ſo herrlichen Natur und zahlrei-
cher Vorbilder, bey einem Cultus, welcher den Bildern eine
ehrenvolle Stelle anwies, nicht mehr, nicht Beſſeres geleiſtet
wurde, als in den braſilianiſchen Suͤmpfen von einem halb-
thieriſchen Geſchlechte, erinnert uns, daß die Entwickelung
menſchlicher Faͤhigkeiten mehr, als wir wuͤnſchen und zu glau-
ben geneigt ſind, von aͤußeren Umſtaͤnden abhaͤngt, welche
wir mithin, ſo viel an uns liegt, zu bemeiſtern bemuͤht
ſeyn muͤſſen.

Die ruͤſtigen Unternehmungen Hadrians und Leos III.
verſprachen allerdings, wie wir oben geſehen, eine ganz andere
Wendung, als dieſe, deren Stufenfolge und Dauer wir nun-
mehr bis zum erſten Aufdaͤmmern eines neuen Tages verfolgen
wollen. Doch werden wir zunaͤchſt verſuchen muͤſſen, in den
allgemeineren Verhaͤltniſſen des Volkes die Urſachen einer ſo
ganz beyſpielloſen Erſcheinung aufzufinden.


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[235/0253] verdienſt, in Vergleich aber mit gleichzeitigen Arbeiten der Italiener wahre Meiſterſtuͤcke ſind. Ueberhaupt iſt die Unge- ſchicklichkeit und der rohe Sinn italieniſcher Kuͤnſtler des neun- ten bis zwoͤlften Jahrhunderts, oder des Zeitraumes, der uns gegenwaͤrtig beſchaͤftigen ſoll, durchaus unvergleichbar mit an- deren Erſcheinungen der Kunſthiſtorie. Sogar die roheſten Voͤlker des Nordens zeigen in ihren Kunſtarbeiten verhaͤltniß- maͤßig einige Nettigkeit und Sicherheit der Hand; nur die Larven aus Baumrinde, welche von braſilianiſchen Reiſenden in unſere Muſeen eingefuͤhrt worden, ſtimmen in der ſchwan- kenden Angabe der Zuͤge, vornehmlich der Augen und Naſen, mit den Ungeheuern uͤberein, deren Entſtehung wir geſchicht- lich verfolgen, deren Charakter wir andeuten wollen, ohne uns zu lange dabey aufzuhalten. Allein, daß unter dem italieni- ſchen Himmel, inmitten einer ſo herrlichen Natur und zahlrei- cher Vorbilder, bey einem Cultus, welcher den Bildern eine ehrenvolle Stelle anwies, nicht mehr, nicht Beſſeres geleiſtet wurde, als in den braſilianiſchen Suͤmpfen von einem halb- thieriſchen Geſchlechte, erinnert uns, daß die Entwickelung menſchlicher Faͤhigkeiten mehr, als wir wuͤnſchen und zu glau- ben geneigt ſind, von aͤußeren Umſtaͤnden abhaͤngt, welche wir mithin, ſo viel an uns liegt, zu bemeiſtern bemuͤht ſeyn muͤſſen. Die ruͤſtigen Unternehmungen Hadrians und Leos III. verſprachen allerdings, wie wir oben geſehen, eine ganz andere Wendung, als dieſe, deren Stufenfolge und Dauer wir nun- mehr bis zum erſten Aufdaͤmmern eines neuen Tages verfolgen wollen. Doch werden wir zunaͤchſt verſuchen muͤſſen, in den allgemeineren Verhaͤltniſſen des Volkes die Urſachen einer ſo ganz beyſpielloſen Erſcheinung aufzufinden.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/253>, abgerufen am 22.11.2024.