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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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war: so liegt uns die Vermuthung nahe genug, daß er nicht habe
sagen wollen: ganz ausgesetzt, sondern vernachlässigt.

Allein eben darin, daß Leo die Ueberlegenheit der griechi-
schen Arbeit über die italienische seiner Zeit nach Billigkeit an-
erkannte, zeigt sich, daß Vasari seine Ansicht vom griechischen
Einfluß und von einer vorangegangenen Unterbrechung der ita-
lienischen Kunstübung nicht aus diesem Schriftsteller geschöpft
hat, welcher zudem damals noch ungedruckt, und voraussetzlich
nur Wenigen bekannt war. Vasari nemlich weiß die Kunst-
fertigkeit und den Geschmack der Griechen des Mittelalters
nicht tief genug herabzusetzen, und ist sehr weit davon entfernt,
die Bewunderung zu theilen, welche Leo für sie gehegt zu ha-
ben scheint. Zu dieser Verachtung der byzantinischen Maler,
welche, historisch angesehen, sich nicht rechtfertigen läßt, ver-
leitete ihn nicht eigene genauere Vergleichung ihrer Arbeiten
mit denen ihrer italienischen Zeitgenossen, sondern Ghiberti,
dessen handschriftliches Werk er, nach seiner eigenen Angabe,
gekannt und benutzt hat.

Lorenzo Ghiberti, der berühmteste Bildner der ersten
Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts, fühlte, wie später und
mit größerem Glücke Michelagnuolo, den Kützel, universell zu
seyn. Wenn er nicht selbst gemalt hat, so machte er doch
Entwürfe für Fenstermalereyen, welche man dazumal noch
musivisch aus farbigem Glase mechanisch zusammensetzte; wor-
aus Vasari, was seine Flüchtigkeit in ein höchst ungünstiges
Licht setzt, die Angabe hervorgedrehet, daß Ghiberti selbst auf
Glas gemalt habe *). Am weitesten jedoch entfernte sich die-

*) Ghiberti sagt, p. 11 a tergo des Codex der Magliaber-
I. 19

war: ſo liegt uns die Vermuthung nahe genug, daß er nicht habe
ſagen wollen: ganz ausgeſetzt, ſondern vernachlaͤſſigt.

Allein eben darin, daß Leo die Ueberlegenheit der griechi-
ſchen Arbeit uͤber die italieniſche ſeiner Zeit nach Billigkeit an-
erkannte, zeigt ſich, daß Vaſari ſeine Anſicht vom griechiſchen
Einfluß und von einer vorangegangenen Unterbrechung der ita-
lieniſchen Kunſtuͤbung nicht aus dieſem Schriftſteller geſchoͤpft
hat, welcher zudem damals noch ungedruckt, und vorausſetzlich
nur Wenigen bekannt war. Vaſari nemlich weiß die Kunſt-
fertigkeit und den Geſchmack der Griechen des Mittelalters
nicht tief genug herabzuſetzen, und iſt ſehr weit davon entfernt,
die Bewunderung zu theilen, welche Leo fuͤr ſie gehegt zu ha-
ben ſcheint. Zu dieſer Verachtung der byzantiniſchen Maler,
welche, hiſtoriſch angeſehen, ſich nicht rechtfertigen laͤßt, ver-
leitete ihn nicht eigene genauere Vergleichung ihrer Arbeiten
mit denen ihrer italieniſchen Zeitgenoſſen, ſondern Ghiberti,
deſſen handſchriftliches Werk er, nach ſeiner eigenen Angabe,
gekannt und benutzt hat.

Lorenzo Ghiberti, der beruͤhmteſte Bildner der erſten
Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts, fuͤhlte, wie ſpaͤter und
mit groͤßerem Gluͤcke Michelagnuolo, den Kuͤtzel, univerſell zu
ſeyn. Wenn er nicht ſelbſt gemalt hat, ſo machte er doch
Entwuͤrfe fuͤr Fenſtermalereyen, welche man dazumal noch
muſiviſch aus farbigem Glaſe mechaniſch zuſammenſetzte; wor-
aus Vaſari, was ſeine Fluͤchtigkeit in ein hoͤchſt unguͤnſtiges
Licht ſetzt, die Angabe hervorgedrehet, daß Ghiberti ſelbſt auf
Glas gemalt habe *). Am weiteſten jedoch entfernte ſich die-

*) Ghiberti ſagt, p. 11 a tergo des Codex der Magliaber-
I. 19
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[289/0307] war: ſo liegt uns die Vermuthung nahe genug, daß er nicht habe ſagen wollen: ganz ausgeſetzt, ſondern vernachlaͤſſigt. Allein eben darin, daß Leo die Ueberlegenheit der griechi- ſchen Arbeit uͤber die italieniſche ſeiner Zeit nach Billigkeit an- erkannte, zeigt ſich, daß Vaſari ſeine Anſicht vom griechiſchen Einfluß und von einer vorangegangenen Unterbrechung der ita- lieniſchen Kunſtuͤbung nicht aus dieſem Schriftſteller geſchoͤpft hat, welcher zudem damals noch ungedruckt, und vorausſetzlich nur Wenigen bekannt war. Vaſari nemlich weiß die Kunſt- fertigkeit und den Geſchmack der Griechen des Mittelalters nicht tief genug herabzuſetzen, und iſt ſehr weit davon entfernt, die Bewunderung zu theilen, welche Leo fuͤr ſie gehegt zu ha- ben ſcheint. Zu dieſer Verachtung der byzantiniſchen Maler, welche, hiſtoriſch angeſehen, ſich nicht rechtfertigen laͤßt, ver- leitete ihn nicht eigene genauere Vergleichung ihrer Arbeiten mit denen ihrer italieniſchen Zeitgenoſſen, ſondern Ghiberti, deſſen handſchriftliches Werk er, nach ſeiner eigenen Angabe, gekannt und benutzt hat. Lorenzo Ghiberti, der beruͤhmteſte Bildner der erſten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts, fuͤhlte, wie ſpaͤter und mit groͤßerem Gluͤcke Michelagnuolo, den Kuͤtzel, univerſell zu ſeyn. Wenn er nicht ſelbſt gemalt hat, ſo machte er doch Entwuͤrfe fuͤr Fenſtermalereyen, welche man dazumal noch muſiviſch aus farbigem Glaſe mechaniſch zuſammenſetzte; wor- aus Vaſari, was ſeine Fluͤchtigkeit in ein hoͤchſt unguͤnſtiges Licht ſetzt, die Angabe hervorgedrehet, daß Ghiberti ſelbſt auf Glas gemalt habe *). Am weiteſten jedoch entfernte ſich die- *) Ghiberti ſagt, p. 11 a tergo des Codex der Magliaber- I. 19

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/307>, abgerufen am 02.06.2024.