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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Unterscheidung doch schwerlich hätten so schmähen können, wie
es geschehen und noch täglich geschieht *).

Ein eben so beschränktes, als stumpfsinniges und hart-
näckiges Festkleben an zufällig dem Sinne vorliegendem Ein-
zelnen giebt demnach der Secte der Naturalisten noch keinen
Anspruch an so schönen Namen; noch weniger indeß dürfte
die entgegengesetzte Secte der Idealisten berechtigt seyn, sich
nach einem Worte zu nennen, welches, obwohl von einem
sinnlichen Bilde ausgehend, doch nach unserem Sprachge-
brauche die geheimsten Tiefen des geistigen Lebens, wenn auch
wohl etwas zu allgemein, bezeichnet. Freylich möchte es in

*) Ueberall in unseren, obwohl von scharfsinnigen Bemerkun-
gen, geistvollen Zügen, von großen und erhabenen Gedanken über-
schwellenden, dennoch in vielen Kunstbegriffen der Manieristen noch
immer befangenen deutschen Kunstschriften will man, nicht etwa
mit einem allgemeinen poetischen, oder religiösen Sehnen, nein
eben mit den so ganz reellen Formen der Kunst über die Schran-
ken der Natur hinaus. Sogar Winckelmann nennet da, wo
ihn sein angeborener Natursinn verläßt, wo der Vorbegriff der
Manieristen ihn eben überwältigt, die Natur wohl einmal schlecht-
hin die gemeine, ein Ausdruck der nicht ohne Nachfolge geblie-
ben. Es liegt hier vielleicht eine Verwechselung des Natürlichen
mit dem Geschichtlichen zum Grunde. Denn die Natur selbst,
deren Bestimmungen und Erzeugnisse wir mit Dank aufnehmen
sollen, wie sie eben sind, kann uns nicht bald gemein, bald unge-
mein seyn; nur die menschlichen Willenskräfte können bald auf
Gutes, bald auf Schlechtes gelenkt werden; also nur in Bezug
auf sittliche Richtungen und Zustände kann von Gemeinem und
Edlem der Natur die Rede seyn. Ein französirter Laffe z. B.
welcher in seiner geschichtlichen Entwickelung das mißlichste Vor-
bild der Kunst abgeben dürfte, würde demungeachtet unter dem
Messer des Anatomen seines Geschichtlichen entkleidet und nur
sein Natürliches darlegend, sogar dem größten Künstler ein edler
und würdiger Gegenstand der Forschung seyn.

Unterſcheidung doch ſchwerlich haͤtten ſo ſchmaͤhen koͤnnen, wie
es geſchehen und noch taͤglich geſchieht *).

Ein eben ſo beſchraͤnktes, als ſtumpfſinniges und hart-
naͤckiges Feſtkleben an zufaͤllig dem Sinne vorliegendem Ein-
zelnen giebt demnach der Secte der Naturaliſten noch keinen
Anſpruch an ſo ſchoͤnen Namen; noch weniger indeß duͤrfte
die entgegengeſetzte Secte der Idealiſten berechtigt ſeyn, ſich
nach einem Worte zu nennen, welches, obwohl von einem
ſinnlichen Bilde ausgehend, doch nach unſerem Sprachge-
brauche die geheimſten Tiefen des geiſtigen Lebens, wenn auch
wohl etwas zu allgemein, bezeichnet. Freylich moͤchte es in

*) Ueberall in unſeren, obwohl von ſcharfſinnigen Bemerkun-
gen, geiſtvollen Zuͤgen, von großen und erhabenen Gedanken uͤber-
ſchwellenden, dennoch in vielen Kunſtbegriffen der Manieriſten noch
immer befangenen deutſchen Kunſtſchriften will man, nicht etwa
mit einem allgemeinen poetiſchen, oder religioͤſen Sehnen, nein
eben mit den ſo ganz reellen Formen der Kunſt uͤber die Schran-
ken der Natur hinaus. Sogar Winckelmann nennet da, wo
ihn ſein angeborener Naturſinn verlaͤßt, wo der Vorbegriff der
Manieriſten ihn eben uͤberwaͤltigt, die Natur wohl einmal ſchlecht-
hin die gemeine, ein Ausdruck der nicht ohne Nachfolge geblie-
ben. Es liegt hier vielleicht eine Verwechſelung des Natuͤrlichen
mit dem Geſchichtlichen zum Grunde. Denn die Natur ſelbſt,
deren Beſtimmungen und Erzeugniſſe wir mit Dank aufnehmen
ſollen, wie ſie eben ſind, kann uns nicht bald gemein, bald unge-
mein ſeyn; nur die menſchlichen Willenskraͤfte koͤnnen bald auf
Gutes, bald auf Schlechtes gelenkt werden; alſo nur in Bezug
auf ſittliche Richtungen und Zuſtaͤnde kann von Gemeinem und
Edlem der Natur die Rede ſeyn. Ein franzoͤſirter Laffe z. B.
welcher in ſeiner geſchichtlichen Entwickelung das mißlichſte Vor-
bild der Kunſt abgeben duͤrfte, wuͤrde demungeachtet unter dem
Meſſer des Anatomen ſeines Geſchichtlichen entkleidet und nur
ſein Natuͤrliches darlegend, ſogar dem groͤßten Kuͤnſtler ein edler
und wuͤrdiger Gegenſtand der Forſchung ſeyn.
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[40/0058] Unterſcheidung doch ſchwerlich haͤtten ſo ſchmaͤhen koͤnnen, wie es geſchehen und noch taͤglich geſchieht *). Ein eben ſo beſchraͤnktes, als ſtumpfſinniges und hart- naͤckiges Feſtkleben an zufaͤllig dem Sinne vorliegendem Ein- zelnen giebt demnach der Secte der Naturaliſten noch keinen Anſpruch an ſo ſchoͤnen Namen; noch weniger indeß duͤrfte die entgegengeſetzte Secte der Idealiſten berechtigt ſeyn, ſich nach einem Worte zu nennen, welches, obwohl von einem ſinnlichen Bilde ausgehend, doch nach unſerem Sprachge- brauche die geheimſten Tiefen des geiſtigen Lebens, wenn auch wohl etwas zu allgemein, bezeichnet. Freylich moͤchte es in *) Ueberall in unſeren, obwohl von ſcharfſinnigen Bemerkun- gen, geiſtvollen Zuͤgen, von großen und erhabenen Gedanken uͤber- ſchwellenden, dennoch in vielen Kunſtbegriffen der Manieriſten noch immer befangenen deutſchen Kunſtſchriften will man, nicht etwa mit einem allgemeinen poetiſchen, oder religioͤſen Sehnen, nein eben mit den ſo ganz reellen Formen der Kunſt uͤber die Schran- ken der Natur hinaus. Sogar Winckelmann nennet da, wo ihn ſein angeborener Naturſinn verlaͤßt, wo der Vorbegriff der Manieriſten ihn eben uͤberwaͤltigt, die Natur wohl einmal ſchlecht- hin die gemeine, ein Ausdruck der nicht ohne Nachfolge geblie- ben. Es liegt hier vielleicht eine Verwechſelung des Natuͤrlichen mit dem Geſchichtlichen zum Grunde. Denn die Natur ſelbſt, deren Beſtimmungen und Erzeugniſſe wir mit Dank aufnehmen ſollen, wie ſie eben ſind, kann uns nicht bald gemein, bald unge- mein ſeyn; nur die menſchlichen Willenskraͤfte koͤnnen bald auf Gutes, bald auf Schlechtes gelenkt werden; alſo nur in Bezug auf ſittliche Richtungen und Zuſtaͤnde kann von Gemeinem und Edlem der Natur die Rede ſeyn. Ein franzoͤſirter Laffe z. B. welcher in ſeiner geſchichtlichen Entwickelung das mißlichſte Vor- bild der Kunſt abgeben duͤrfte, wuͤrde demungeachtet unter dem Meſſer des Anatomen ſeines Geſchichtlichen entkleidet und nur ſein Natuͤrliches darlegend, ſogar dem groͤßten Kuͤnſtler ein edler und wuͤrdiger Gegenſtand der Forſchung ſeyn.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/58>, abgerufen am 24.11.2024.